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Nybbas Nächte

Nybbas Nächte

Titel: Nybbas Nächte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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können. Ihre einzige Chance bestand darin, darauf zu hoffen, dass er zum Hotel nach Reykjavik fuhr. Wenn sie sich beeilte, würde sie ihn dort vielleicht abfangen können.
    Schnee wirbelte auf, als sie das Gaspedal gegen das Bodenblech trat. Während der Fahrt hatte nur ein einziger Gedanke in ihrem Kopf Platz.
    Lass mich ihn finden, oh bitte, lass mich ihn finden.
    Er durfte sie nicht verlassen. Das konnte er doch nicht tun! Andererseits erinnerte sie sich zu gut an das Leid in seinen Augen. Er glaubte tatsächlich, dass sie ihn betrog. Sie schlug so fest mit der Hand ans Lenkrad, dass ein schmerzhaftes Vibrieren ihren Arm durchlief. Das Stückchen Straße, das von den Autoscheinwerfern beleuchtet wurde, verschwamm in Tränen.
    Verdammt, jetzt nur nicht heulen. Sie fuhr viel zu schnell, da brauchte sie eine klare Sicht. Nicht, dass kein Grund zum Heulen bestand, aber das musste einfach warten.
    Anna Nalick sang im Radio einen sanften, romantischen Song von der unglücklichen Liebe zu einem Soldaten.
    „And if this life doesn't give you the love you expect, there's always the next.“
    Der Text machte den Kampf gegen die Tränen nicht leichter, doch sie schaltete die Musik nicht ab.
    War es aussichtslos? Seit Nicholas sie von sich gestoßen hatte, fühlte sie sich wie im freien Fall. Sie strampelte hilflos mit Armen und Beinen, doch fand nichts, woran sie sich hätte festhalten können. Sie fiel immer weiter. Aber aufgeben kam nicht infrage.
    Plötzlich ging ein Ruck durch den Wagen. Das Lenkrad wurde ihr aus den Händen gerissen und das Auto brach nach links aus. Ein Schlagloch – verdammt! Joana packte zu und lenkte mit aller Kraft dagegen, doch der Wagen drehte sich bereits auf der glatten Fahrbahn. Die Räder standen. Trotzdem warf die Wucht der Geschwindigkeit den Wagen um hundertachtzig Grad herum. Dann sackte er mit einem scheppernden Geräusch mit dem rechten Hinterrad in den Straßengraben. Alles Weitere registrierte sie, als würde es sich in Zeitlupe abspielen. Überdeutlich hörte sie das kreischende Geräusch von sich verbiegendem Metall. Und die ungerührt weiche Musik aus dem Radio. „Hey, boy. Whatcha crying for?“
    Die rechte Wagenhälfte krachte in den Graben und wurde jäh gestoppt. Joana wollte fluchen, doch aus ihrer Kehle kam nur ein Schrei. Panisch krallte sie sich ans Lenkrad und presste den Hinterkopf gegen die Kopfstütze. Die linke Wagenhälfte verlor den Kontakt zum Boden. Überschlag.
    Vor ihren Augen wurde es weiß. Ihr Kopf wurde erst gegen das Seitenfenster geschleudert, dann in den Airbag. Wie ein kurzer Stromschlag durchfuhr sie die Erkenntnis, dass sie an diesem Unfall selbst Schuld trug. Acht Jahre unfallfrei durch den Hamburger Großstadtverkehr. Und sie setzte das Auto auf freier, schnurgerader Strecke in den Graben. Brillant.
    Schmerzen im Kopf trieben ihr den Anflug von Sarkasmus aus und hinterließen ein im Geist gestammeltes Gebet.
    Das Drehen und Rutschen sowie ihr eigenes Keuchen schienen sich endlos hinzuziehen, bevor es endlich aufhörte. Joana spürte sich hilflos im Gurt hängen. Der Wagen war auf der Fahrerseite zum Stillliegen gekommen, ihre linke Hand hing in den Scherben des Fensters. Vorsichtig löste sie die verkrampften Finger der Rechten vom Lenkrad und betastete ihre Stirn. Nass. Aber ihr tat nichts weh. Da war nur dieser stumpfe, wattige Schwindel, als würde der Wagen sich weiter drehen.
    Anna Nalick summte sanft aus dem Radio. Außerhalb des Wagens war nur Finsternis. Helle Sterne flackerten in der Schwärze.

16
    F
ahrtwind biss in Nicholas’ Haut und zwang Tränen aus seinen Augen, die er aus anderen Gründen niemals zugelassen hätte. Er genoss den Schmerz, mit dem sein Körper immer kälter wurde. Die Nacht hüllte ihn ein wie Erde einen Sarg, und sie beengte ihn auch auf gleiche Weise. Der Drang, den Körper zu verlassen, und die ganze Intensität des Schmerzes gleich dazu, waren enorm. Hatte er diesen Körper nicht ohnehin eben noch endgültig aufgeben wollen? Der Nybbas tobte vor Wut und ließ sich hemmungslos an seinem Brustkorb aus. Doch Nicholas hatte gerade nichts anderes als dieses bisschen Schmerz. Es war das Letzte, was ihm von ihr geblieben war, und wann er das fortwarf, sollte ganz allein seine Entscheidung sein. Für den Moment konnte es gar nicht genug in ihm wüten.
    Er bretterte über kilometerlange Kies- und Schotterfelder hinweg, kämpfte sich mit dem Quad Hügel aus Vulkangestein empor und jagte in halsbrecherischem Tempo wieder

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