Nybbas Nächte
kleine, unscheinbare Gestalt. Er schüttelte den Kopf, bis das Wasser aus seinen Ohren kam und er wieder hören konnte.
„Verzeihen Sie vielmals“, rief der Hotelangestellte mit knatterndem Akzent zu ihm herüber, „aber der … Herr ließ sich nicht aufhalten.“
Nicholas schickte ihn mit einem Gedanken weg und ignorierte das verwirrte Gebrabbel über vorschriftsmäßige Badekleidung. Seine Aufmerksamkeit galt allein Tomte, der mit ernster Miene ans Becken trat. Wie hatte der Typ ihn gefunden? Joana musste ihm verraten haben, in welchem Hotel sie wohnten. Oder er war als Fuchs seiner Fährte gefolgt. Der Halbdämon warf Nicholas ein Handtuch zu, nachdem er sich auf dem Rand aufgestützt und aus dem Wasser gehievt hatte. Seine Arme bebten noch immer vor Anstrengung.
„Es gibt Probleme.“
Tomtes Ton machte deutlich, dass es sich um Probleme handelte, von denen Nicholas nichts hören wollte. Trotzdem hob er das Kinn, zur Aufforderung, dass der andere weitersprechen sollte, während er sich das Handtuch um die Hüften band.
„Joana. Sie hatte einen Unfall.“
Nicholas Körper gefror in der Bewegung.
„Jetzt ist sie im Krankenhaus. Außer Gefahr, aber es geht ihr schlecht.“
„Sollte … sollte es mich kümmern?“ Nicholas schluckte den Klumpen Ekel hinunter. Ekel vor sich selbst, weil er wissen musste, was geschehen war und besser wusste, dass er nicht fragen sollte. „Geh zu Demjan, soll er ihre Rechnung zahlen.“
„Er hat sie hingebracht“, sagte Tomte und würgte einen Zipfel seiner Jacke zwischen den Fäusten. „Aber sie hat deinen Namen gestammelt, Nicholas, nur deinen. Ich weiß nicht, was zwischen euch passiert ist. Ich weiß nur eins. Sie braucht dich jetzt.“
Aber ich brauche sie nicht mehr, wollte Nicholas sagen. Doch die Worte kamen nicht. Sie blieben weg, so wie der Regen, der immer dann in den Wolken verharrt, wenn man seine Kühlung am dringendsten benötigt.
Tomte sprach weiter: „Eine kleine Gruppe von Skröggandi hat sie gefunden, nachdem sie einen Autounfall hatte. Zuerst wollten die sie nur etwas ärgern, aber dann geriet die Sache außer Kontrolle und einer griff sie an. Jemand sah es über die Überwachungsbildschirme. Demjan wurde informiert, kam ihr zu Hilfe und verjagte die Wildgewordenen. Als wir Joana fanden, war sie ohne Bewusstsein. Ich holte den Wagen und Demjan fuhr sie ins Krankenhaus. Dort angekommen kam sie zu sich, aber …“
Nicholas bemerkte erst bei Tomtes Stocken, dass sie sich längst auf dem Weg durch die Hotelflure befanden. Am liebsten wäre er sofort zum Krankenhaus gefahren, doch nur mit einem Handtuch bekleidet war das vielleicht keine gute Idee. Er steuerte die Treppen an und beschleunigte seine Schritte, sodass Tomteneben ihm herlaufen musste.
„Sie stand unter Schock“, fuhr er fort. „Anders kann ich mir nicht erklären, was dann geschah.“
„Was meinst du?“ Nicholas ahnte es. Das Krankenhaus. Die Abtreibung, die sie nie verkraftet hatte. Sie war in Panik geraten, er wusste es. In seinen Ohren rauschte es, als suchte er bei einem Radio nach Empfang. Er ignorierte ein ihm entgegenkommendes Pärchen und stapfte zwischen ihnen durch. Hastig stoben sie auseinander und tuschelten aufgebracht, als er sie passiert hatte.
„… schlug um sich, schrie wie von Sinnen. Sie mussten ihr Beruhigungsmittel geben, um …“
Nicholas blendete Tomtes Stimme wieder aus und trat ohne ein Zögern die Mahagonitür zu dem Zimmer ein, dass Joana und er bewohnt hatten, denn er wusste nicht mehr, wo die Chipkarte für das Türschloss war. In seinem Handtuch jedenfalls nicht. Rasch war er angezogen und eilte aus dem Hotel, Tomte im Kielwasser mitziehend. Er machte sich nicht die Mühe, die aufgewühlten Gedanken der herumwuselnden Hotelangestellten zu bearbeiten. Um den randalierenden Nybbas im Zaum zu halten, brauchte er seine gesamte Energie. Für eine mentale Kontrolle hätte seine Konzentration ohnehin nicht ausgereicht, solange Joana all seine Gedanken brutal an sich band. Wieder einmal.
Joana ließ die Augen geschlossen und täuschte vor, noch zu schlafen. Über ihr war nichts als Helligkeit und in ihrer Mitte ein Punkt aus pulsierendem Licht, so weiß, dass es fast die Netzhäute versengte. Das Gleißen fraß sich durch ihre Lider. Sie erkannte die Schatten ihrer Wimpern, ohne die Augen zu öffnen. Die schnatternde Schar an Menschen war fort, doch sie hörte sie gedämpft in einiger Entfernung. Sie konnten jederzeit zurückkommen. Die Decke über
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