Nybbas Nächte
ihrem Körper wog schwer. Sie wagte nicht, sich zu rühren. Jede Bewegung würde wehtun und ihre Ahnung, dass ihr Unterleib nackt war, in Gewissheit umwandeln. Sie presste immer noch die Beine zusammen. Hatte es die ganze Zeit getan, selbst während der Ohnmacht. Ihre schmerzhaft verkrampften Muskeln ließen dies zumindest vermuten.
Ihr Herz krampfte sich um etwas, das sie längst verloren hatte. Weggeworfen.
Das Baby.
Erneut versuchte sie sich einzureden, dass dies lange her war. Doch hier, unter dieser tonnenschweren, nach Heißmangel riechenden Bettdecke, schien ihr die Abtreibung nicht Jahre, sondern Augenblicke entfernt. Zwischen den zugepressten Lidern quollen Tränen hervor, die auf ihren Wangen wie Ohrfeigen brannten. In ihrer Ohnmacht hatte sie geträumt, wie ein weinender Säugling vor ihr auf dem Boden lag.
„Ich lass dich nicht fallen“, hatte sie sich sagen hören. Zur Bewegungslosigkeit verdammt, musste sie sich selbst zusehen, wie sie höhnisch lächelnd ihren schweren Stiefel zum Tritt bereit über den kleinen Brustkorb des Kindes hob. Schmutzig braunes Regenwasser tropfte auf weiße Haut und rann über fragile kleine Rippen. Lautlos. Blut mischte sich mit dem Regenwasser. „Ich lass dich nicht fallen. Ich schmeiß dich weg.“
Seit sie keuchend aus dem Traum aufgeschreckt war, lag sie bewegungslos wach. Es war ihr unmöglich, nicht an Rut zu denken. Rut, die die Clerica zwangsweise sterilisiert hatten. ‚Sie dürfen dich nicht in ihre Hände bekommen, versprichst du mir das?‘, waren die Worte der alten Frau gewesen. Hatte sie nun versagt? Hatten die Clerica sie in ihre Hände bekommen?
Sie konnte sich kaum erinnern, was geschehen war. Sie hatte gekämpft, um ihr Leben gekämpft, und verloren. Gegen Klauen, Zähne, Hände, spitze Dolche, die ihre Haut durchstachen. Immer wieder verloren. Dann war nur das stumme, hysterische Kreischen in ihrem Kopf. Der kleine Schrei, immer und immer wieder:
Sie dürfen mich nicht bekommen, sie dürfen mich nicht bekommen! Dürfen nicht … Nein!
Joana erinnerte sich, dass sie im Stillen zu Gott gefleht hatte, er möge es vorbei sein und sie sterben lassen. Aber Gott kam nicht. Stattdessen schlief sie wieder ein, schrecklichen Träumen ausgeliefert. Und ein Dämon kam zu ihr.
Nicholas war noch nie in einem Krankenhaus gewesen. Wozu auch? Er stellte fest, dass Hoffnung wie der mit Lavendel parfümierte Bohnerwachs am Boden duftete. Verzweiflung roch dem Desinfektionsmittel ähnlich. All dies wurde hier großzügig versprüht.
So früh am Morgen war es noch still in der Klinik. Eine asiatisch aussehende Ärztin führte ihn und Tomte widerwillig die verlassenen Flure entlang zu Joanas Zimmer. Ihre Gummiclogs klangen auf dem Linoleum, als zerträte sie mit jedem Schritt Würmer.
Nicholas erfuhr, dass Joana im Delirium ihren richtigen Namen, Joana Sievers, genannt hatte, und dasmachte ihn nervös. Es war möglicherweise zu spät, um etwas zu manipulieren, sie hatten ihre Daten bereits in die Computer eingegeben. Nun war es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis die Clerica erfuhren, dass sie hier war. Tomte hatte recht, sie mussten sie schleunigst fortbringen. Nicholas hatte sie gedrängt, nach Island zu gehen, und was immer sie auch getan haben mochte, die Vorstellung, Schuld daran zu tragen, dass man sie erwischte und als Verräterin vor den Clerica-Rat stellte, trieb ihm eisigen Schweiß aus den Poren. Bis sie in Sicherheit war, musste er vergessen, dass sie sich Demjan Choskeih an den Hals geworfen hatte. Danach würde er mit Elias das Land verlassen und sie nicht wiedersehen.
„Sie müssen leise sein“, sagte die Ärztin und betonte jedes englische Wort so stark, als hätte sie Idioten vor sich. „Frau Sievers hat neben den Bissverletzungen eine Gehirnerschütterung und einen Schock. Sie ist sehr erschöpft. Regen Sie sie bitte nicht auf, sondern lassen Sie sie schlafen.“ Sie schüttelte missbilligend den Kopf. „Es ist schwer zu begreifen, dass jemand solch gefährliche Hunde frei herumlaufen lässt. Aber die Polizei sucht bereits nach den Tieren.“
Tomte grummelte etwas Unverständliches. Nicholas erwiderte nichts und die Ärztin schob die Tür auf. Gleichzeitig zog sich Nicholas’ Magen zusammen. Bis auf Joana war das ganze Zimmer weiß. Weiße Wände, weißer Fußboden, weißes Bettzeug und weiße Vorhänge. Ihr lockiges, schwarzes Haar lag verklebt auf dem weißen Kissen. Ihre Lippen waren blutverkrustet und zusammengepresst. Er
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