Nybbas Nächte
niedergeschlagen habe. Hätte ich eine Waffe gehabt, dann …“
„Joana, du hattest Angst.“
Er spürte, dass er sie nicht erreichte. Ob es an den Medikamenten, an der Gehirnerschütterung oder an dem Schock lag, aber er kam nicht an sie heran. Sie verrannte sich in Selbstvorwürfen, gab sich die Schuld an dem Autounfall, an dem Angriff der Halbdämonen und daran, dass man sie ans Bett gefesselt hatte. Irgendwann sackte sie entkräftet an seiner Brust zusammen. Für den Moment war der gestrige Abend beinahe vergessen. Nicholas verbot sich, daran zu denken. Nur eines zählte jetzt: Joana hier rauszubringen. Und ihre Panik zu mildern, ehe diese ihm das Gehirn explodieren ließ. Er legte eine Hand auf ihren Bauch. Die Stelle schien eine glühende Hitze zu verströmen, als wäre sie die Quelle all ihrer Schmerzen.
„Es ist wegen des Babys, habe ich recht? Dieser Ort erinnert dich zu sehr daran.“ Sie sagte nichts, aber dass sie nicht widersprach, war Antwort genug. „Das Krankenhaus macht dir Angst.“
Sie flüsterte: „Mehr noch als die Füchse. Gegen sie hatte ich eine Chance. Gegen die Gefühle an diesem Ort nicht.“ Sie sah gehetzt zur Deckenlampe. „Vergiss, was ich gesagt habe, vergiss es einfach. Ich muss hier nur raus, dann bin ich wieder okay.“
„Ja. Exakt bis zu dem Moment, an dem wieder eine Erinnerung kommt und die Wunde aufreißt.“
Ihre gesunde Hand bedeckte ihre Augen. „Mag sein. Aber ich komme nicht dagegen an.“
„Dann lass es zu. Angst ist nicht lächerlich, Jo. Jeder hat Angst.“
Sie schnaubte, nur der Ansatz eines traurigen Lachens. „Aber niemand fürchtet sich in diesem Ausmaß vor absolut ungefährlichen Menschen, die einem helfen wollen.“
„Ich fürchte mich vor viel harmloseren Dingen.“
Der Stoff seines Hemdes spannte sich enger um seine Schulter, als sie sich daran festhielt. Er genoss es, sie zu halten. Viel zu sehr, bedachte man, dass sie am Abend zuvor in einem fremden Bett gelegen hatte.
„Erzähl mir davon“, bat sie.
Er spürte ihren Atem seine Brust wärmen. Sie holte tief Luft, als versuchte sie, mit seinem Geruch den des Krankenhauses zu übertünchen.
Nicholas brauchte lange, um zu antworten. Ehrlich zu sein fiel in diesem Moment schwerer als je zuvor.
„Dunkelheit“, sagte er schließlich. Sie sah fragend auf und er erklärte: „Dunkelheit ist es, was mir Angst macht. Nicht die Finsternis der Nacht, sondern ganz und gar absolute Schwärze. Dunkelheit kann niemandem etwas tun, völlig harmlos. Mir nimmt sie fast den Verstand.“
Sie hörte aufmerksam zu, nickte leicht und verband die Information mit ihren Erinnerungen zu Zusammenhängen. Die Vorhänge, die er nachts immer aufzog. Seine Panik, als die Deckenfenster im Fuchsbau von Schnee bedeckt gewesen waren. Er sah, wie sie all dies überdachte.
„Es ist wegen des Banns.“ Sie fragte nicht, sie wusste es. „Es ist Dunkelheit, die euch bannt, habe ich recht?“
„Das hast du. Nun, Joana – Dämonenjägerin. Sprich mit mir, dem Dämon, der sich im Dunkeln fürchtet, nicht von lächerlichen Ängsten.“ Sein Grinsen war erzwungen. „Lach mich lieber aus. Glaub mir, es hilft.“
Sie lachte nicht. Stattdessen musterte sie ihn, als sähe sie ihn zum ersten Mal. „Ich hatte Albträume von dem Baby. Träume, in denen ich es getötet habe.“
„Träume sind ein gutes Training. Du trainierst den Umgang mit dem, was im Wachzustand noch zu stark für dich ist.“
Sie lächelte, ganz schwach nur. „Damit kennst du dich aus, oder?“
„Nein.“ Denn die Träume, die er schuf, waren nicht echt, nur Illusionen. „Wahre Träume sind eine Komposition aus Gefühlen, Erinnerungen, Gedanken und auch unterbewussten Reaktionen. Erfahrungen. Mehrdimensionale Theaterstücke, in die du als Träumender mit etwas Übung eingreifen und ihren Fortgang beeinflusstenkannst. Das, was ich schaffe, sind nur Bilder auf einer Leinwand aus Papier, welche reißt, sobald man sie mit dem Bewusstsein touchiert“. Nein, denn er selbst konnte nicht träumen. „Ich habe diese persönliche Schwäche, die Unfähigkeit zu träumen, nur lange genug analysiert und weiß, was mir fehlt.“
Sie nickte bedächtig und flüsterte: „Ich habe solche Angst davor, nie über diese Sache hinwegzukommen. Und gleichzeitig fürchte ich mich, darüber hinwegzukommen, weil es sich nicht richtig anfühlt, es hinter mir zu lassen.“
„Du bist noch nicht soweit, Jo. Schuld ist nichts grundsätzlich Schlechtes. Lass sie zu. Sie geht,
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