Nybbas Nächte
nämlich, dass er neben Dr. House alt aussähe. Nun überlegt er, sich bei den Kollegen aus der Schönheitschirurgie vorzustellen.“
Joana entspannte sich minimal, während er Scherze machte, und es gelang ihm, den Arzt zum Teufel zu schicken.
„Mich erinnern Krankenhäuser ja immer an Horrorfilme“, meinte Tomte und zog mit zu Klauen gekrümmten Fingern eine Grimasse in Richtung einer hübschen jungen Schwester, die ihn dank Nicholas nicht sehen konnte.
Joanas Lippen entkam ein winziges Kichern.
„Da ist was dran“, flüsterte Nicholas atemlos. „Sehen diese über die Gänge schlürfenden Patienten nicht aus wie Zombies?“
Tomte erwischte seinen Einsatz. „Schau mal, die Frau da hat unter ihrem Morgenmantel bestimmt ein riesen Loch im Bauch. Seht ihr, wie sie auf den Boden starrt? Irgendwo da muss sie gestern ihre Leber verloren haben.“ Er wies mit dem Daumen in eine Nische, in der ein Sessel und ein Tischchen mit Zeitschriften standen. „Ich fühle mich so beobachtet. Gehören die Augen unter dem Tisch einem von euch?“
Von Tomtes weiteren Albernheiten bekam Nicholas nichts mehr mit. Der Nybbas hatte die Kontrolle übernommen und verbrauchte seine ganze Energie auf das Beeinflussen der Menschen. Nicholas verstand kein Wort mehr und sein Sichtfeld schrumpfte immer weiter zusammen, bis er nur noch einen hellen, schlierigen Fleck zu seinen Füßen erkennen konnte. Er folgte Tomtes Schritten blind, Joana fest an sich gepresst, sein Geist in Fragmenten auf unzählige Menschen verteilt, deren Blicke, Schritte und Gedanken er lenkte.
Unsanft ließ Nicholas Joana auf die Rückbank von Tomtes klapprigem Golf fallen und lehnte sich schwer atmend mit den Unterarmen ans Autodach. Die Sprungfedern aus den Sitzen bohrten sich in ihr Hinterteil und an den nackten Zehen spürte sie, dass die Fußmatten bereits munter vor sich hin schimmelten. Trotzdem verkörperte das Auto in diesem Moment den Inbegriff von Sicherheit. Joana blickte nervös zum Krankenhaus zurück. Jedes Fenster schien ihr grell erleuchtet nachzuglotzen. Sie tastete nach den Verbänden um Hand, Arm und Oberschenkel und fürchtete sich vor dem Moment, in dem die Wirkung ihrer Schmerzmittel nachlassen würde.
Nicholas stieg ein und unter einem schleifenden Geräusch, das die Kupplung von sich gab, fuhr Tomte los.
Nicholas war vollkommen erschöpft. Sie wusste, dass er nie zuvor so viele Menschen gleichzeitig manipuliert hatte, und wie schwer es ihm gefallen sein musste. Er warf ihr im Rückspiegel einen Blick zu, den sie voller Dankbarkeit erwiderte. Das Funkeln seiner Augen schien zu verlöschen, seine Miene wurde kühl.
„Nicholas?“
Er lehnte den Kopf seitlich ans Fenster und schloss die Augen.
„Nicholas“, wiederholte Joana geflüstert, doch er reagierte nicht.
„Lass ihn, kann sein, dass er dich nicht hört.“
Tomte gab sich unbeeindruckt, doch Joana begriff, dass Nicholas sie sehr wohl hörte, ihr aber noch immer nicht glaubte. Nun war sie in Sicherheit und die Schonzeit damit beendet. Sie zog die nackten Beine an die Brust, raffte die Lederjacke über den Knien zusammen und rang plötzlich mit Tränen. Er dachte nach wie vor, dass sie ihn betrog, und hatte sie dennoch aus dem Krankenhaus geholt. Sollte sie ihn dafür noch mehr lieben, als sie es ohnehin schon tat, oder ihm die Wahrheit ins Gesicht spucken, damit er sie erkannte? Letztlich blieb sie stumm, denn die Medikamente hüllten nicht nur ihren Körper in eine Schicht aus Watte, sie dämpften auch die Gedanken.
Joana erwachte von einem Kreischen, das sich als harmloses Bremsgeräusch herausstellte. Tomte hielt vor Ruts Haus und rüttelte Nicholas am Arm, um ihn zu wecken. Dieser gab nichts auf Joanas halbherzigen Protest, sondern hob sie erneut hoch und trug sie hinein. Diesmal ächzte er leise unter ihrem Gewicht, was Joana beschämte. Er war so bleich, dass sie die malvenfarbenen Adern an seinen Schläfen und am Kiefer erkennen konnte. Selbst durch den Dreitagebart schimmerten sie durch. Die Aktion im Krankenhaus musste ihn mehr angestrengt haben, als sie gedacht hatte.
Rut schlug fassungslos die Hände über dem Kopf zusammen, als sie Joanas eigenartigen Kleidungsstil bemerkte, und schlurfte Richtung Küchenzeile, um besonders starken Kaffee zu kochen. Den konnten sie allegebrauchen. Scheu lugte Sunna um den Türrahmen und flüchtete sich beim Anblick des ihr fremden Halbdämonen in die obere Etage. Der Hund folgte ihr winselnd.
Nicholas setzte Joana auf dem Sofa
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