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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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um die Heisman Trophy gebracht worden war.
    »Und das ist Mercys Großtante Liliane Bedsole.«
    Ich blickte mich um.
    »Die alte Dame mit den starren Gesichtszügen«, fügte Bonnie Blue hinzu, »und dem karottenroten Haar.«
    Nach diesem Hinweis war Tante Liliane leicht zu entdecken. Sie unterhielt sich mit einem Mann mittleren Alters, der ein Jackett
     trug, das so rot war, daß sein Gesicht und seine Glatze rosa schimmerten.
    »Was schätzt du, wie oft die schon geliftet ist?« fragte ich, während ich Tante Liliane ansah.
    »Ich bezweifle, daß sie die Augen zum Schlafen zubekommt«, kicherte Bonnie Blue. »Das ist der Kunstkritiker Ross Perry, mit
     dem sie sich da unterhält. Er schreibt gerade ein Buch über Folk-Art. Er war bei uns zu Hause, um sich mit Daddy zu unterhalten.«
    Wir waren am Büffet angelangt.
    »Schau dir das an!« sagte Bonnie Blue. »Ich glaube, ich muß heute abend mal richtig zuschlagen.« Sie nahm einen Teller und
     lud sich Erdbeer-Käsekuchen, Pekannuß-Pie und Blaubeer-Trifle auf. »Obst und Nüsse«, sagte sie. »Kein allzu schlimmer Verstoß
     gegen meinen Diätplan.«
    Ich hatte eben erst zu Abend gegessen, aber auf dem Tisch sah alles so köstlich aus. Ich nahm ein paar zuckerbestäubte |32| Erdbeeren. Bonnie Blue schielte zu mir herüber. Klarer Fall von Anorexie, das sah ich an ihrem Blick. Ich füllte den Teller
     also mit kleinen Quiches, Nüssen und Sandwiches auf. Mary Alice würde meinen Teller so oder so leeren.
    »Hey, Bonnie Blue. Wo hast du denn James gelassen?« Wir drehten uns um und sahen Thurman Beatty hinter uns stehen.
    »Er wird gleich hier sein.« Bonnie Blue machte uns miteinander bekannt. »Mein Bruder James und Thurman haben zusammen Football
     gespielt«, erklärte sie.
    »Der beste Tight End, den Alabama je hatte.« Thurman hielt die Champagnerflasche hoch. »Habt ihr Gläser?«
    »Noch nicht.«
    »Dann hol’ ich welche.« Er verschwand für einen Augenblick und tauchte dann mit zwei Champagnerflöten und einem breiten Grinsen
     wieder auf. »Bitte sehr, die Damen.«
    Ich reagiere allergisch auf alkoholhaltige Getränke, aber ich nahm das Glas für Mary Alice entgegen. Wahrscheinlich hätte
     ich es in jedem Fall genommen, Thurman Beatty war wirklich hinreißend charmant. Vielleicht sollte ich die jüngere Generation
     noch nicht ganz abschreiben.
    »Wo ist Mercy?« fragte Bonnie Blue.
    »Springt irgendwo herum und verhandelt.« Irgend jemand rief Thurmans Namen. »Sag doch bitte James, daß ich ihn sprechen möchte,
     wenn er kommt.«
    »Selber ziemlich knackiger Tight End«, bemerkte Bonnie Blue, während sie ihm nachblickte. Ich stimmte ihr zu.
    Mary Alice hatte irgendwo einen Stuhl aufgetrieben und ihn neben Abe Butler gestellt. Als wir zurückkamen, waren sie ins Gespräch
     vertieft. Ich reichte ihr den Champagner und verkündete, sie könne meinen Teller leer essen.
    »Danke«, erwiderte sie, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Ich nahm mir die Erdbeeren herunter, stellte den Teller
     auf ihren Schoß und machte kauend und voller Bewunderung einen Rundgang durch die Galerie.
    |33| Quilts können sich in jeder Kunstgalerie und in jedem Museum behaupten. Besonders gefielen mir an jenem Abend die, die die
     Künstlerin »erzählerische Quilts« nannte. Historische Figuren oder Szenen aus dem Familienleben wie ein Picknick oder in einem
     Hof spielende Kinder waren auf die Patchwork-Decken appliziert, gestickt oder sogar gemalt. Ich war hingerissen von einem
     Stück mit dem Titel ›The Sixties‹, auf dem Martin Luther King sowie John und Robert Kennedy aus einem Bus stiegen und Freiheitsfahrer
     begrüßten. Aus einem Busfenster blickte die Bürgerrechtlerin Rosa Parks, einen erstaunten Ausdruck im Gesicht. Ich schaute
     auf den Preis und stellte fest, daß die Folk-Art-Vertreter dabei waren, ihren eigenen Wert zu begreifen. Das war auch richtig
     so. Ich würde mir den Namen der Künstlerin sagen lassen und anfangen zu sparen.
    »Das Gewünschte gefunden, Mrs.   Hollowell?« Claire Moon stand neben mir.
    »Alles ist wunderschön, Claire. Arbeiten Sie hier?«
    »Ich bin Mercys Assistentin.«
    »Macht Ihnen Ihre Arbeit Spaß?«
    In ihr blasses Gesicht kam zum ersten Mal Leben. »Ich liebe sie.« Sie lächelte. »Mercy ist selbst Künstlerin, wissen Sie.
     In Europa kennt man sie vielleicht besser als hier. Aber das wird sich ändern.«
    »Aber sie ist hier in Birmingham aufgewachsen?«
    »Ihre Mutter hat hier gelebt. Mercy kam häufig zu

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