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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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noch
     während sie über ihn lachten, die Knie schlotterten. »Na los«, schien er zu sagen, »versuch nur auf den Plätzen für die Lehrer
     oder Besucher zu parken.« Sie ließen es nie darauf ankommen.
    |89| Frances Zata telefonierte, aber sie winkte mich herein. Ihr Büro war hell und freundlich – ohne Fenster natürlich, aber Poster
     vom Kopenhagener Tivoli, dem British Museum in London und dem berühmten, von der Apollo 8 fotografierten »Erdaufgang über
     dem Mond« belebten die Wände.
    »Entschuldigung«, sagte sie, nachdem sie aufgelegt hatte. »Komm her, laß dich umarmen. Mein Gott, du fehlst mir!«
    Frances ist so alt wie ich, sechzig, aber sie sieht nicht so aus. Sie ist das, was meine Großmutter eine »entzückende« Frau
     nannte. Sie hat früh ihren – äußerst eleganten – Stil gefunden, und er paßt gut zu ihr. Ihr dunkelblondes Haar ist meist zu
     einem Knoten zurückgesteckt, bisweilen flicht sie es auch zu einem französischen Zopf. Sie trägt einfache Seidenblusen, gerade
     oder ausgestellte Röcke, gewöhnlich in Beige oder Schwarz, und Pumps mit niedrigem Absatz. Ihre Ohren zieren entweder Perlen
     oder goldene Ringe. Und nur ich weiß, daß sie sich vor einigen Jahren hat liften lassen, weil sie verrückt nach einem jüngeren
     Mann war. Eine dieser Sexsklavinnen-Geschichten, von denen Mary Alice so gerne spricht. Die Affäre war ein Flop, das Facelifting
     nicht. Frances sieht großartig aus.
    »Möchtest du einen Kaffee?« fragte sie, nachdem wir uns beide nach der Familie der anderen erkundigt hatten. Frances hat einen
     Sohn, der Anwalt von Beruf ist und ein Freund von meinem Sohn Alan.
    Ich schüttelte den Kopf. Sie lehnte sich zurück und nahm eine Mappe aus einem Regal. »Hier sind die Sachen zu Claire Needham«,
     sagte sie. »Ich mußte für sie vor Gericht aussagen, weißt du, deshalb sind ein paar Extraunterlagen drin. Nichts Vertrauliches.
     Das wäre drüben beim Jugendgericht.« Sie reichte mir die Akten. »Was ist denn los mit ihr, Patricia Anne?«
    »Sie liegt im Memorial Hospital, in der psychiatrischen Abteilung.« Ich begann Frances zu erzählen, daß ich Claire seit |90| Jahren nicht gesehen hatte, bis zur Eröffnung von Mercy Armisteads Kunstgalerie. Sie unterbrach mich.
    »Die Frau, die umgebracht wurde?«
    Ich nickte.
    »Deren Mutter Betty Bedsole war, die Miss America?«
    »Laut Mary Alice ja. Woher wißt ihr so was nur immer?«
    »Warte einen Moment.« Frances sauste um den Tisch und griff nach der Mappe, die ich gerade erst geöffnet hatte. »Augenblick,
     ich hab’s gleich«, sagte sie und blätterte die Seiten durch.
    »Was denn?«
    »Ah, hier! Ich wußte es. Ich habe die Sachen durchgesehen, kurz bevor du kamst, und der Name kam mir bekannt vor. Sieh mal,
     Patricia Anne.« Frances hielt mir ein Blatt unter die Nase. Ich nahm es ihr aus der Hand und hielt es ein Stück von mir weg,
     so daß ich etwas erkennen konnte. »Da.« Sie zeigte auf die fragliche Stelle.
    Ich sah als erstes den getippten Namen von Liliane Bedsole. Dann blickte ich nach links. »Vormund.«
    »Verstehe ich nicht«, sagte ich.
    Frances setzte sich auf die Kante ihres Schreibtisches, nahm das Blatt wieder an sich und warf einen neuerlichen Blick darauf.
     »Entschuldige. Erzähl einfach weiter. Ich bin nur über den Namen gestolpert.«
    »Liliane Bedsole war Claires Vormund? Sie ist Mercys Tante. Um genau zu sein, Großtante.«
    Frances nickte. »Ich dachte, es könnte da vielleicht ein Zusammenhang bestehen. Den Akten zufolge las Liliane Bedsole über
     den Mißbrauchsfall in der Zeitung und war darüber so bestürzt, daß sie bei Gericht für alle drei Schwestern einen Antrag einreichte.
     Die drei Mädchen hatten letztendlich ganz schönes Glück.«
    »Ich dachte, es hätte da auch noch einen Bruder gegeben.«
    Frances schüttelte den Kopf. »Es gab nur Claire und fünf |91| Jahre jüngere Zwillingsmädchen. Feine Kinder. Ich erinnere mich nicht mehr an ihre Namen.«
    »Sind alles feine Kinder«, murmelte ich.
    »Sie sahen aus, als seien sie einer Hungersnot entronnen. Ich rede von den Zwillingen. Claire war ein wenig wohlgenährter.
     Wahrscheinlich, weil sie zur Schule ging und da ein Mittagessen bekam. Die Zwillinge hatten noch keine Schule von innen gesehen,
     als das Jugendamt sich ihrer schließlich annahm.«
    »Aber Claire war von ihrem Vater sexuell mißbraucht worden.«
    »Ja.« Frances ließ sich von ihrem Schreibtisch gleiten und setzte sich auf ihren Stuhl dahinter.

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