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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Glatze. »Ich mag diesen Mann
     nicht«, sagte ich.
    »Laß es dir nicht anmerken. Sonst kann er nächtelang nicht schlafen, weil er sich so grämt.«
    »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er, als er an den Tisch zurückkehrte. »Ich hatte noch was vergessen bei meiner Kolumne.«
    »Das macht doch nichts.« Mary Alice lächelte. Sie erspähte André und hielt ihr Weinglas in die Höhe. Er kam herübergeeilt
     und schenkte ihr und Ross nach. Mit diesem Alkoholpegel im Blut würden sie auf Mercys Beerdigung nicht allzusehr leiden.
    »Haben Sie koffeinfreien Kaffee?« fragte ich André. Er verzog den Mund. »Das Essen war übrigens köstlich«, fügte ich rasch
     hinzu. Er nickte, was bedeuten konnte, daß er mir bezüglich |140| des Essens zustimmte oder daß er mir einen Kaffee bringen würde. Ich mußte wohl abwarten, dann würde ich schon sehen.
    »Ich weiß, daß das vielleicht etwas voreilig klingt«, sagte Ross Perry zu Mary Alice, »aber gestern abend, als ich Liliane
     besuchte, habe ich, glaube ich, zum ersten Mal begriffen, wie wenig sie in ihrem Leben hat. Ich denke, der Verwaltungsrat
     des Museums sollte überlegen, ob er sie bittet, Mercys Platz zu übernehmen. Was meinen Sie?«
    »Hm...«
    »Nun, denken Sie darüber nach. Ich glaube, es würde ihr viel bedeuten.«
    »Das werde ich«, versprach Mary Alice.
    Das war ja nicht zu fassen. »Ihr solltet euch damit beeilen«, sagte ich. »Mercy ist schon volle zwei Tage tot.«
    Mary Alice knallte ihr Weinglas auf den Tisch. »Patricia Anne, jetzt werd bitte nicht vulgär.«
    Ich empfahl mich vorübergehend und verschwand in Richtung Damentoilette. Zugegeben, das ging mich alles nichts an, und, zugegeben,
     ich war nicht in der Stimmung für ein Mittagessen gewesen und hätte mich von Mary Alice nicht dazu überreden lassen dürfen.
     Und vielleicht hatte ich auch ein zu böses Mundwerk. Aber vulgär! Das hatte ich nicht verdient.
    Unsere Großmutter Alice, die in Montgomery lebte und von der Mary Alice die Größe geerbt hat, war eine strenge Erzieherin
     gewesen. Wir hatten sehr früh beigebracht bekommen, daß die Frauen in unserer Familie drei Dinge niemals waren: Das erste
     war geschmacklos. Lackschuhe nach fünf Uhr nachmittags zu tragen, galt als ein Beispiel dafür. Des weiteren ungezogen. Dies
     schloß Rauchen auf der Straße mit ein und Dankeskarten nicht innerhalb einer Woche zu schreiben. Das letzte war vulgär
.
Gott bewahre. Ich bekam nie einen entsprechenden Tadel von meiner Großmutter, Mary Alice hingegen schon. Großmutter erwischte
     sie dabei, wie sie sich auf der |141| Terrasse vor dem Haus die Zehennägel schnitt, der Gipfel der Vulgarität, und sie wurde auf der Stelle zur Bushaltestelle gebracht
     und nach Birmingham zurückgeschickt, damit Mama sie sich vorknöpfen konnte.
    »Dem Herrgott sei Dank, daß eure Großmutter das nicht mehr erleben mußte«, sagte meine Mutter eines Tages, als wir uns eine
     Talkshow ansahen. »Das hätte sie ins Grab gebracht. Vulgär ist gar kein Ausdruck für dieses Zeug.«
    Ich kämmte mein Haar, legte ein wenig Lippenstift auf und versicherte der Frau im Spiegel, daß sie nicht vulgär war. Als ich
     gerade meine Handtasche zumachen wollte, ging die Tür auf, und Claire Moon kam hereinspaziert. Ich war so perplex, daß ich
     meine Tasche fallen ließ und ihr Inhalt in alle Richtungen rollte.
    »Claire!« Aber im selben Moment, in dem ich den Namen aussprach, wußte ich, daß ich mich geirrt hatte. Die Frau war größer,
     und ihre Augen waren von einem blassen Blau.
    »Ich bin Glynn«, sagte sie. »Glynn Needham.«
    Hinter ihr trat dieselbe Frau noch mal ein und sagte: »Und ich bin Lynn. Warten Sie, wir helfen Ihnen, Ihre Sachen aufzusammeln.«
    »Ich habe Sie mit Ihrer Schwester verwechselt«, murmelte ich.
    Sie mußten beide grinsen.
    »Die sieht ganz anders aus«, erklärte Glynn.

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    »Und Sie sind Mrs.   Hollowell«, sagte Glynn. »Wir haben Sie gleich erkannt, als Sie das Restaurant betraten.« Sie und ihre Schwester krabbelten
     am Boden herum und sammelten den Inhalt meiner Handtasche auf, der aus alten Quittungen, Kleingeld, halben Kaugummistreifen
     und benutzten Papiertaschentüchern bestand sowie den üblichen Dingen wie Portemonnaie, Scheckbuch und Lippenstift.
    »Brauchen Sie die noch?« Lynn hielt zwei Kapseln hoch, die nach irgendeinem Antibiotikum aussahen und voller Flusen waren.
    »Ich habe keine Ahnung, was das ist«, bekannte ich. »Vielleicht von meiner

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