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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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wünschten nur, daß Sie nicht so lange in der Bibliothek geblieben wären.«
    »Machen Sie mich nicht für Ihre Trinkerei verantwortlich«, sagte ich.
    |219| »Nein. Es war Bettys Schuld.«
    »Als wir in die Bar kamen, sahen wir sie rausgehen, und sie machte so einen traurigen Eindruck.«
    »Sie reden von Betty Bedsole, ja? Der Frau, die Sie eine Schlampe genannt haben?«
    Glynn sah Lynn an. »Hast du Mrs.   Hollowell gesagt, Betty sei eine Schlampe?«
    »Habe ich das?« fragte mich Lynn.
    »Es war die Rede davon, daß sie keine Unterhosen tragen würde«, sagte ich.
    Lynn nickte. »Das stimmt. Aber sie war sehr traurig. Wir genehmigten uns einen Drink, weil Betty so traurig aussah, als sie
     ins Taxi stieg.«
    »Ich würde sagen, Sie genehmigten sich ein
paar
Drinks, weil Betty so traurig aussah. Ich nehme an, es kam keiner von Ihnen beiden in den Sinn, daß das Trinken vielleicht
     einer der Gründe ist, warum sie so traurig aussieht.«
    »Paß auf, Mrs.   Hollowell hält jetzt eine Predigt, Lynnie.«
    Die zusammengerollte Zeitung lag auf dem Tisch, und ich hätte sie Glynn zu gern auf den schmerzenden Kopf geklatscht. Statt
     dessen stand ich auf, goß mir selbst eine Tasse Kaffee ein und verkündete, daß ich sie in einer Viertelstunde zum Hotel zurückbringen
     würde.
    »Du hast sie verärgert, Glynnie«, hörte ich Lynn sagen, als ich den Flur hinunterging. »Das wird Claire aber nicht gerne hören.«
    Es verging fast eine Stunde, bis wir in Richtung Innenstadt aufbrachen. Die Zwillinge bestanden darauf, das Bettzeug im Gästezimmer
     zu wechseln und das Badezimmer sauberzumachen. Ob sie nun deswegen ein schlechtes Gewissen plagte, weil sie mich zur Weißglut
     gebracht hatten, oder wegen ihres Gelages – jedenfalls gingen sie nicht, bevor alles makellos war. Als wir das Haus verließen,
     rotierten Laken und Handtücher in der Waschmaschine, und die körperliche Anstrengung des |220| Saubermachens schien den Zwillingen gutgetan zu haben. Bevor wir durch die Hintertür nach draußen gingen, bat ich eine von
     ihnen, Tante Lilianes Adresse und Telefonnummer auf einen Zettel zu schreiben, und machte diesen am Kühlschrank fest. Fast
     hätte ich gefragt, warum sie nicht bei ihr wohnten, aber das ging mich schließlich nichts an.
    Es war eine ruhige Fahrt zurück zum Hotel. Glynn saß neben mir, schloß aber die Augen und schien zu dösen. Lynn streckte sich
     auf dem Rücksitz aus. Beide wurden jedoch wieder wach, als ich an die Straßenecke kam, an der sich die Bibliothek befand,
     und die Geschwindigkeit drosselte.
    »Wir steigen hier aus«, sagte Glynn. »Danke, Mrs.   Hollowell.«
    »Danke, Mrs.   Hollowell«, echote Lynn.
    Die Ampel wurde gerade rot, als sie draußen waren, so daß sie vor mir die Straße überquerten. Selbst in ihrem mitgenommenen
     Zustand schafften sie es noch, daß sich sämtliche Männer nach ihnen umdrehten. Ich stellte mir die müßige Frage, wie es wohl
     sein mochte, über eine derartige Ausstrahlung zu verfügen. Und ob sie dieselbe Wirkung hatten, wenn sie nicht zusammen waren.
     Hinter mir drückte jemand auf die Hupe, und ich stellte fest, daß die Ampel grün war. Ich hob entschuldigend die Hand und
     fuhr nach Hause.
    Es waren die Zwillinge, die Claire aus dem Krankenhaus hatten verschwinden lassen. Davon war ich überzeugter denn je. Lynns
     Bemerkung »Das wird Claire aber nicht gerne hören«, klang, als stünden sie in engem Kontakt. Ein Taxi fuhr auf der Nachbarspur
     neben mich und erinnerte mich an das, was die Zwillinge über Betty Bedsole gesagt hatten. Wie traurig sie ausgesehen hatte.
     Ich dachte an das Foto von ihr als achtzehnjährige bildhübsche Debütantin und wie verzückt ihr Vater sie angesehen hatte.
     War die Mutter von Claire und den Zwillingen auch so schön gewesen? Wahrscheinlich. Eine Zeitlang. Vor den Mißhandlungen und
     dem Alkohol. Verdammt. |221| Hoffentlich war das Besäufnis der Zwillinge am Vorabend ein einmaliger Ausrutscher gewesen.
    Die Laken und Handtücher waren fertig gewaschen, als ich nach Hause kam. Ich stopfte sie in den Trockner und hörte meinen
     Anrufbeantworter ab. Bonnie Blue hatte angerufen; sie war auf dem Weg zur Arbeit, würde sich aber später wieder melden. Das
     war’s. Keine Einladungen zu vorweihnachtlichen Brunches, Lunches oder Hauspartys.
    »Das rührt daher, daß du so ungesellig bist, Patricia Anne«, erklärte mir Mary Alice auf dem Weg nach Harpersville. Wir wollten
     erst den Baum holen und dann auf

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