Oase der Versuchung
bin.“
„Dann dauert es vielleicht etwas länger, ein oder zwei Tage. Sicher wird das Gebiet mit Flugzeugen abgesucht …“
Um erst gar keine Erwartungen zu wecken, schüttelte Hassan den Kopf. Falsche Hoffnungen konnten mehr Schaden anrichten als die harte Realität. „Was sollte das nützen? Bei einer Fläche von über zweihundertfünfzigtausend Quadratkilometern? Mit Dünen, die über zweihundert Meter hoch sind und die Sicht erschweren? Da ist eine Woche vermutlich noch optimistisch gerechnet …“
Talia schwieg betroffen. Nun erst schien sie die ganze Härte der Situation zu verstehen. „Wir sitzen fest.“
Hassan strich ihr tröstend über die weiche Wange. „Ich kann mir keine angenehmere Gesellschafterin vorstellen als dich. Ich wüsste nicht, mit wem ich lieber in Lebensgefahr wäre.“
Verwirrt öffnete Talia den Mund und schloss ihn wieder. Dann schlug sie seine Hand weg. „Wie kannst du darüber Witze machen!“
„Ich mache keine Witze“, widersprach Hassan und streichelte wieder ihre Wange.
Aber Talia biss ihn mit einer blitzschnellen Bewegung – wie eine wütende Katze.
Seufzend zog Hassan die Hand zurück. „Beiß mich, so oft du willst, aber ich bleibe dabei. Es gibt keinen Menschen, den ich jetzt lieber an meiner Seite hätte.“
Bewegt erkannte Hassan, dass ihr Tränen in die Augen stiegen.
Dann befahl sie: „Ach, sei doch still!“
Er lächelte. „Wenn es nach dir ginge, dürfte ich wohl gar nichts sagen?“
„Ich glaube, du hast genug gesagt. Findest du nicht auch?“
„Dabei kommt jetzt erst der interessante Teil.“
„Ja, vielleicht macht jemand in ein paar Millionen Jahren Ausgrabungen, und die Wissenschaft streitet dann darüber, zu welchem Zweig der Frühmenschen wir gehören.“
Hassan hielt sich an seinem Sitz fest, um sich nicht zu ihr zu beugen und sie zu küssen. „Deine Fantasie in allen Ehren, aber ich fühle mich noch zu jung, um ein Fossil zu werden. Und darum müssen wir raus aus diesem … Metallhaufen und durch die Wüste marschieren.“
Lange sagte Talia nichts. Dann fragte sie: „Über dreihundert Kilometer in absolut lebensfeindlicher Umgebung?“
„Nicht ganz. Ungefähr achtzig Kilometer von hier liegt eine Oase, zu der ich eigentlich fliegen wollte.“
Ihre Miene hellte sich vor Erleichterung auf. „Warum hast du das nicht gleich gesagt? So weit ist das nicht!“
„Immerhin entspricht die Strecke zwei Marathonläufen – bei Temperaturen von tagsüber fünfzig Grad und nachts unter null. Außerdem können wir nicht den kürzesten Weg nehmen, weil wir dem Treibsand ausweichen müssen.“
„Das macht mir keine Angst“, sagte sie und hob mutig den Kopf. „Ich komme nicht aus einer voll klimatisierten Welt, wie du vielleicht annimmst. Ich habe schon in einem überbelegten und spärlich ausgestatteten Krankenhaus in Afrika operiert, in dem es oft am Allernötigsten fehlte. Mein ganzes Arbeitsleben lang habe ich Entbehrungen auf mich genommen, und zwar aus freien Stücken. An Gefahr und Verzweiflung bin ich gewöhnt.“
Wieder empfand Hassan tiefe Bewunderung für diese tapfere und entschlossene Frau. „Ich will dich nur aufs Schlimmste vorbereiten. Glaub mir, ich tue mein Bestes, damit wir das hier heil überstehen, aber du musst wissen, worum es geht. – Also, sehen wir den Dingen ins Auge!“
Sie sah ihn mit viel Mut und einem Anflug von Unsicherheit an. Wobei die Unsicherheit wohl kaum einem anderen aufgefallen wäre …
Das ist das Gute an Herausforderungen wie dieser, dachte er, dass man alle Kraft zusammennimmt. Jetzt konzentriert sich Talia voll und ganz auf unser Überleben – und damit auch auf mich … „Jedenfalls bin ich froh, kein zimperliches Mädchen an meiner Seite zu haben.“
„Solange mir nicht ein zimperlicher Prinz das Leben schwer macht!“, konterte sie.
Hassan wusste nichts mehr zu entgegnen und lachte über ihre Schlagfertigkeit.
Hier saßen sie also, in einem millionenteueren, allerdings kaputten Hightech-Helikopter, Lichtjahre von jeder Zivilisation entfernt.
Talia würde lebend hier herauskommen, dafür würde er trotz seines geschwächten Zustands sorgen. Und das, obwohl er und seine Familie in ihren Augen getrost vom Erdboden verschwinden konnten.
Aber trotz alledem freute sich Hassan auf den gemeinsamen Marsch.
Ehe er sich darauf konzentrierte, ließ er sich noch einmal alles durch den Kopf gehen: Talias zu Unrecht eingesperrter Bruder, ihre Wut auf seine Familie … Statt auf einen
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