Oase der Versuchung
gelassen fest.
Erschrocken sah sie ihn an. Brachte ihn denn nie etwas aus der Ruhe? Stets blieb er unerschütterlich wie ein Fels. Vielleicht lag gerade darin ihre Chance, heil davonzukommen. Dennoch wünschte Talia, er wäre nicht immer so. Schließlich gab es keinen Menschen, der in jeder Lebenssituation besonnen reagierte.
Sie sah ihn an und verstand plötzlich: Doch, es gab einen. Und dieser eine hieß Hassan Aal Shalaan.
„Man hört ja fast, wie dein Magen knurrt.“
Da erst wurde ihr bewusst, dass sie seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen hatte.
„Das ist unser Plan: Wir essen etwas, stellen unsere Ausrüstung fertig zusammen und brechen auf. Jetzt ist es ein Uhr nachts. In ungefähr einer Stunde geht’s los, ungefähr acht Stunden bleiben uns, bis die Hitze unerträglich wird. Dann bauen wir unsere Quartiere auf und schlafen, so gut es geht. Kurz vor Sonnenuntergang brechen wir wieder auf. Wir marschieren zwei Stunden und ruhen uns eine Stunde aus – oder auch länger, wenn du möchtest. Auf diese Art schaffen wir in drei Stunden etwa acht Kilometer und sind in drei Tagen am Ziel. Wenn wir uns einschränken, reichen unsere Vorräte.“
„Wenn nicht … Wir haben noch ein paar Liter Infusionslösung.“
„Da haben wir es wieder! Du bist die beste Begleiterin in dieser Lage.“
„Bestimmt wärst du auch selbst darauf gekommen“, sagte sie leise und freute sich. Zugleich beschlich sie aber auch eine Art Furcht, dass alles wahr werden würde … Am liebsten hätte sie sich auf der Stelle in seine Arme geworfen und ihn nicht mehr losgelassen.
Da kam ihr ein Verdacht: Tat er das mit Absicht? Immer wenn sie spürte, dass ihr Widerstand erlahmte, machte er Witze oder forderte sie heraus. Damit lenkte er sie ab und zerstreute ihre Bedenken. Es endete jedes Mal so, dass sie ihn aufmerksam ansah.
So auch dieses Mal.
Sie umfasste sein Gesicht. „Jetzt wird sich herausstellen, wie gut du wirklich bist. Was, wenn du uns in die falsche Richtung führst? Und wir doch als Fossilien enden?“
Er lachte. Ein herzliches, kraftvolles – und ermüdendes – Lachen. „Ich schlage nie die falsche Richtung ein. Grundsätzlich nicht.“
In ihren Ohren klang das ziemlich nach Angeberei.
Ja klar, dachte sie. Und diesem Mann vertraue ich mein Leben an! Aber was bleibt mir anderes übrig? Schließlich habe ich keine Wahl …
Wenn mich irgendjemand retten kann, dann er!
Was aber, wenn es keinen Ausweg gab?
Da zog er sie plötzlich an sich.
Egal ob es mit Überleben, magischer Anziehung oder einem inneren Zwang zu tun hatte – Talia sehnte sich danach. Genau wie Hassan. Sie würde es zulassen.
Sie verging unter dem zärtlichen und sinnlichen Eindruck seines Kusses, in dem sich sein ganzes verzweifeltes Begehren ausdrückte. Sie ergab sich der Forderung und dem Flehen, die darin lagen …
Dann löste er sich von ihr und sah ihr in die Augen. „Ich habe dir versprochen, dass du bei mir sicher bist, Talia, in jeder Hinsicht, und dabei bleibt es. Du glaubst mir doch, oder?“
„Ja“, sagte sie. „Ich glaube dir.“ Und es war die ganze Wahrheit.
7. KAPITEL
Seit sie aus ihrer Wohnung entführt worden war, fragte sich Talia wohl zum tausendsten Mal, ob sie träumte. Aber in einem Punkt war sie sich sicher: Hassan gab es ganz bestimmt.
Sie folgte ihm durch eine überwältigende, unendliche Landschaft, in der sie sich so klein wie eins der Sandkörner fühlte, die der Wind um ihre Füße wehte.
Vor sechs Stunden, nachdem sich Hassan ausführlich mit seinem Kompass und den Sternen beschäftigt hatte, waren sie aufgebrochen. Er hatte darauf bestanden, ihr alles zu erklären – was sie schwierig gefunden hatte, da sie ja längst nicht über dasselbe umfassende Wissen zu diesem Thema verfügte wie er. Wie sollte sie etwa einzelne Landmarken erkennen, wenn alles so gleichförmig erschien?
Aber irgendwie hatte er es geschafft, ihr eine Vorstellung der Marschroute zu vermitteln.
Jetzt befanden sie sich auf dem dritten Zweistundenteilstück. Mühelos schritt Hassan voraus, den vollgepackten Schlitten hinter sich und seinen Riesenrucksack auf dem Rücken.
Talia kam es so vor, als stolperte sie ihm mehr hinterher, als dass sie lief. Mit ihrem kleineren Anteil der Last – der immer noch schwer genug war.
Hassan hatte es so eingerichtet, dass sie auf ziemlich festem Sandboden unterwegs waren, sodass das Laufen nicht sonderlich schwerfiel. Zumindest am Anfang nicht. Schon nach kurzer Zeit musste sich Talia
Weitere Kostenlose Bücher