Obduktion
sind. Ich will, dass wir von Keara lernen, woran sie gestorben ist, um jemand anderem das gleiche Schicksal zu ersparen. Bei dieser Geschichte fehlt noch eine ganz entscheidende Information. Sagen Sie, hatten Sie sich am Abend mit ihr unterhalten?«
»Nur ganz kurz, aber nicht länger als mit jedem anderen. Ich meine, hey, sie sah gut aus, also haben alle Jungs mit ihr geredet.«
»Hat sie erwähnt, dass sie letzte Woche oder so in einen Autounfall verwickelt war?«
»Nein, nichts dergleichen.«
»Oder ist sie vielleicht gestürzt, eventuell sogar noch am selben Abend? Auf der Damentoilette zum Beispiel.« Wegen des Fehlens äußerer Verletzungen glaubte Jack zwar nicht an einen Sturz als mögliche Ursache, aber er wollte nichts ausschließen.
»Davon hat sie nichts erwähnt, nein.«
Jack konnte den Mann schließlich dazu bewegen, ihm eine Liste der Namen und Telefonnummern der übrigen Feiernden der vorangegangenen Nacht anzufertigen. Farrell versprach sogar, sie bis zum späten Nachmittag fertig zu haben.
Jack legte auf. Er saß vor dem Schreibtisch und trommelte mit den Fingern auf seine Kladde. Trotz seines Anfangsverdachts sah es jetzt so aus, als hätte der Fall keinen kriminellen Aspekt. Aber er war sich sicher, dass ihm zu Kearas Geschichte noch irgendeine wichtige Einzelheit fehlte. Weil ihm jetzt keine andere Entschuldigung mehr einfiel, den Anruf bei Kearas Mutter hinauszuschieben, wählte er die Nummer. Er konnte sich ihre Verzweiflung nur allzu gut vorstellen.
Schon beim ersten Klingeln hob sie ab. Ihre Stimme klang fest und erwartungsvoll. Jack vermutete sofort, dass sie sich noch in der Phase des Nicht-akzeptieren-Wollens befand und etwas in ihr immer noch hoffte, irgendjemand würde anrufen und ihr mitteilen, alles sei nur ein schrecklicher Irrtum gewesen und Keara sei wohlauf.
»Hier ist Dr. Stapleton von der städtischen Gerichtsmedizin. «
»Hallo, Dr. Stapleton«, antwortete Mrs Abelard in einem beschwingten, aber fragenden Tonfall, so als ob es gar keinen Grund geben könnte, warum jemand vom New Yorker Leichenschauhaus bei ihr anrufen könnte. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Das können Sie«, sagte Jack. Er wusste noch nicht, wie er anfangen sollte. »Aber zuerst möchte ich Ihnen mein tiefstes Mitgefühl ausdrücken.«
Mrs Abelard war still. Jack überlegte, ob sie gleich in Tränen ausbrechen würde, die die zweite Phase des Schmerzes einleiteten: die Phase des Zorns. Aber da war nur Schweigen, unterbrochen vom unregelmäßigen Atem der Frau. Jack traute sich nicht, etwas zu sagen, um die Situation nicht noch schlimmer zu machen.
»Ich hoffe, ich trete Ihnen nicht zu nahe«, sagte Jack schließlich, aber erst, nachdem ihm klar war, dass Mrs Abelard nicht antworten würde. »Es tut mir leid, dass ich Sie anrufen muss … Aber soweit ich weiß, waren Sie gestern Nacht im Leichenschauhaus. Das war bestimmt sehr schwer für Sie. Ich möchte Sie in Ihrer Trauer nicht stören, aber ich möchte Sie wissen lassen, dass ich Ihre Tochter Keara heute Morgen sehr sorgfältig untersucht habe, und dass ich Ihnen versichern kann, dass sie friedlich eingeschlafen ist.«
Jack verzog sein Gesicht über seine Worte, die ihm wie ein kitschiger Einfühlungsversuch vorkamen. Am liebsten hätte er aufgelegt, sich gesammelt und später noch einmal angerufen. Die Vorstellung, ein ausgeweideter Leichnam ruhe in Frieden, war so absurd, dass es ihm peinlich war, so etwas gesagt zu haben. Er fühlte sich schuldig, mit seinen Manipulationen schon so tief gesunken zu sein.
Dessen ungeachtet legte er nach, so wie er es auch bei dem verstockten Robert Farrell getan hatte. »Ich versuche,
im Interesse Ihrer Tochter zu handeln, Mrs Abelard. Ich bin sicher, dass sie uns etwas mitteilen kann, womit wir anderen helfen können. Aber ich brauche noch mehr Informationen. Wollen Sie mich dabei unterstützen? «
»Sie sagen, sie schläft jetzt friedlich?«, fragte Mrs Abelard und brach ihr Schweigen. Es wirkte gerade so, als glaubte sie, ihrer Tochter sei nur ein kleines Missgeschick widerfahren.
»Sie hat jetzt ihren Frieden. Aber ich frage mich, ob sie sich in der letzten Zeit vielleicht irgendeine Halsverletzung zugezogen hat?«
»Eine Halsverletzung? Welcher Art?«
»Es könnte alles Mögliche gewesen sein«, sagte Jack. Er kam sich vor wie ein Anwalt im Gerichtsprozess, der alles vermied, um den Zeugen in eine bestimmte Richtung zu drängen.
»An irgendeine Halsverletzung kann ich mich nicht erinnern. Obwohl
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