Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
der Name seines Vaters.
Vor dem Melken hole ich die Esel ins Trockne. Dafür brauche ich nicht viel zu tun. Ich öffne das Gatter und gehe zum Eselstall, und wenn ich dort ankomme, erwarten sie mich schon. Ich lasse sie in ihre Box, zerschneide eine Zuckerrübe und werfe die Stücke in den Futtertrog. Dann stopfe ich ein paar Handvoll Heu in die Raufe. Ich habe Teun und Ronald eingeschärft, mich immer erst zu fragen, ob sie die Esel füttern dürfen. Wenn ich sie gewähren ließe, würden die Esel innerhalb kürzester Zeit zu fett oder sogar krank. Der Regen tickt aufs Wellblechdach. Sie reagieren nicht, als ich ihnen die Ohren kraule, das Fressen nimmt sie zu sehrin Anspruch. Bevor ich den Stall verlasse, mache ich das Licht an. Sie schauen mir nicht nach, als ich gehe.
11
Von Monnickendam fahre ich auf der N 247 bis Edam und dann durch den Ort zum Deich, denn wenn ich es hier nicht mache, kann ich die Hauptstraße erst wieder bei Oosthuizen verlassen. In der Nähe von Warder halte ich einen Augenblick an, um mir einen Vogelschwarm genauer anzusehen. Austernfischer, Rabenkrähen, Lachmöwen und Silbermöwen. Die Hupe eines Wagens schreckt mich auf, jemand will auf der schmalen Deichstraße an mir vorbei.
»Warum bleibst du auch auf dem Deich stehen?« fragt Ada, die nicht einmal eine Kohlmeise von einer Blaumeise unterscheiden kann. Sie hat einen halblangen schwarzen Mantel an und sieht etwas blaß aus.
In Hoorn muß ich den Deich für kurze Zeit verlassen. Es ist windstill und dunstig, in der Ferne geht das Wasser des IJsselmeers unmerklich in den Himmel über. Unter der Motorhaube des Opel Kadett rasselt etwas, ich werde ihn wieder mal in die Werkstatt bringen müssen. Bei Oosterleek biege ich links ab, und zehn Minuten später parke ich den Wagen vor der Aufbahrungshalle von Venhuizen, die gleich neben dem Altenheim liegt.
»Wie kann man sich so etwas ausdenken?« fragt Ada. »Wie kann man so gefühllos sein?«
Sehr viele Bauern sind gekommen; man erkennt sie sofort an ihrer Kleidung, sie tragen fast alle einen »guten« Pullover über einem frischen Oberhemd. Von der Aufbahrungshalle gehen wir hinter dem Leichenwagenzur römisch-katholischen Kirche. Dort spricht Aries Frau am Sarg, das heißt, sie wollte am Sarg sprechen, aber als sie »Arie ist nun tot« gesagt hat, kann sie nicht weiter. Zwei junge Frauen – ich nehme an, ihre Töchter – stehen auf und begleiten sie zu ihrem Platz. Der Pastor hält den Trauergottesdienst, und ein örtlicher Chor singt ein trauriges Lied. Nach einem Augenblick des Schweigens kommen sechs Träger mit dunkelgrauen Zylindern herein, heben den Sarg auf ihre Schultern und tragen ihn hinaus. Ada geht neben mir, als meine Frau. Sie hat sich bei mir eingehängt und weint. Wim, ihr Mann, hatte nicht mitkommen wollen, er hat – sagte sie – Angst vor dem Tod und will nichts mit ihm zu tun haben. Außerdem habe er »wirklich Besseres zu tun«. Der Friedhof liegt nicht direkt hinter der Kirche, wir müssen noch ein gutes Stück laufen. Unterwegs kommen wir an einer Super-de-Boer-Filiale vorbei. Es ist ein Begräbnis, wie es sein sollte; die Träger lassen den Sarg hinunter, und Aries Frau und die Töchter werfen Erde in die Grube. Als wir schon auf dem Rückweg zur Kirche sind, holt uns der junge Milchfahrer ein. »Gut, daß du gekommen bist, Helmer«, sagt er. »Und du auch, Ada. Verbundenheit, das ist etwas Schönes.«
»Ach Galtjo«, erwidert Ada, mit einer Stimme, die noch mehr als sonst nach Watte klingt, »das ist doch das mindeste, was man tun kann.«
Ich sage nichts, ich finde ihn rührend, diesen jungen Milchfahrer. Galtjo, kein Wunder, daß mir sein Name nie einfällt. Sogar hier auf dem Friedhof lächelt er. Er kann einfach nicht anders. Wir sind ein Stück hinter den anderen zurückgeblieben. Als ich mich umdrehe, sehe ich, daß zwei Männer dabei sind, die Grube zu füllen, nicht langsam und vorsichtig, hier eine Handvoll, da eine Handvoll, sondern mit gewaltigen Schaufelladungen.
Dann gehen alle zur Aufbahrungshalle zurück, um der Frau, den Töchtern und sonstigen Verwandten zu kondolieren. Wir trinken eine Tasse Kaffee, und Ada ißt ein Stück Kuchen. Ich esse zwei Stück.
Ada möchte auf der Rückfahrt einen anderen Weg nehmen. Wir fahren durch Hem und über den Blokdijk nach Hoorn.
»Laß uns durch den Beemster fahren«, sagt sie. »Der Beemster ist schön.«
Ich nehme eine Abkürzung über Berkhout nach Avenhorn und Schermerhorn. Dann folge ich den
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