Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
seinen Nachttisch und verlasse das Zimmer. Erst auf der Treppe fällt mir ein, daß ich nicht an ein Messer gedacht habe. Ich gehe nicht noch einmal hinauf, weder um ihm ein Messer zu bringen noch um das Licht auszumachen.
Der Rahmenmacher hat ein Papiertütchen mit kleinen Nägeln aufs Glas geklebt. Als alles auf dem Küchentisch liegt, sehe ich, daß etwas fehlt. Eine Rückseite. Ich messe den Rahmen und gehe mit Bleistift und Bandmaß in die Scheune. Zwischen Holzresten finde ich ein Stück Sperrholz, nicht allzu dick, das ich auf der Werkbank unter dem silbergrauen Totenkopfschränkchen zurechtsäge. Die Arbeit hält mich warm. Ins Sperrholzschlage ich zwei kleine Nägel und mache daran dünnen Eisendraht zum Aufhängen fest.
In der Küche lege ich den Rahmen mit der Vorderseite nach unten auf den Tisch, in den Rahmen das Glas, darauf die Karte (die so genau paßt, daß die angegilbten Ränder zum größten Teil hinter den Kanten des Rahmens verschwinden) und zum Schluß das Stück Sperrholz. Ich habe es so zugeschnitten, daß es keinen Millimeter Spielraum hat, vier Nägelchen reichen, um es sicher im Rahmen zu befestigen. Dann trage ich die Karte ins Wohnzimmer und halte sie hier und da an die Wand. Zwischen den Fenstern kommt sie nicht zur Geltung; links oder rechts vom Kamin kann man sie nicht aufhängen, weil dann die andere Seite so leer wirkt. Es bleibt nur das Schlafzimmer. Ich schlage einen großen Nagel in die Wand neben der Tür und hänge die Karte auf. So kann ich sie vom Bett aus gut sehen.
Die Esel erwarten mich schon, obwohl ich nicht jeden Abend zu ihnen komme. Ich habe die Lampe angelassen, ein breiter Streifen Licht fällt auf den Hof. Meine eigene Weihnachtskrippe. Sie schnauben, als ich hereinkomme. Ich gebe ihnen ein paar Wintermöhren und eine Schaufel Hafer. Ihr Atem steigt in Wölkchen aus dem Futtertrog auf. Ich setze mich auf einen Heuballen und bleibe, bis sie mit Fressen fertig sind. Aus dem Hühnerhaus neben dem Eselstall dringt leises Gegacker. Seltsam.
Vom Sitzen ist mir kalt geworden. Als ich mich in der Waschküche ausziehe, lasse ich mir Zeit, damit mir noch kälter wird. Im Badezimmer warte ich fröstelnd ab, bis das Wasser warm ist. Unter der Dusche wasche ich mir die Haare und falte die Hände im Nacken zueiner Schale, die ich dann immer wieder so kippe, daß mir ein Schwall heißes Wasser über Rücken und Schultern läuft. Nach dem Abtrocknen gehe ich schnell ins Wohnzimmer, mache alle Lampen aus und drehe den Ofen auf eine niedrigere Stufe. Dann richte ich mich auf und betrachte mich bei dem Licht, das aus dem Schlafzimmer hereinfällt, im Spiegel. Dies sind jetzt meine eigenen vier Wände, ich kann nackt vor dem Spiegel stehen, wann immer mir danach ist. Die Glut des Ofens brennt auf meinem Geschlecht, die Muskeln in meinen Beinen und im Hintern fühlen sich wohlig müde und kräftig an. Ich glaube die Hände des Knechts auf meinem Hintern zu spüren. Die Empfindung ist so stark, daß ich meine eigenen Hände auf die Pobacken legen muß, damit die eingebildeten Hände verschwinden. Der Brief von Riet liegt auf dem Kaminsims. Ich nehme ihn mit ins Schlafzimmer, und als ich im Bett liege (unter dem anderen Bettbezug, den ich erst gewaschen habe), lese ich ihn zum x-ten Mal durch. Bevor ich das Licht ausmache, werfe ich noch einen Blick auf die Dänemarkkarte. Da hängen drei Schafe, denke ich, während ich mich im Dunkeln auf die linke Seite drehe und die Knie hochziehe.
17
Ich habe einen zweiten Brief bekommen:
Lieber Helmer, Brabant ist fürchterlich. Ich weiß nicht, ob Du schon mal hier warst, aber Du kannst es mir glauben: Es ist furchtbar. Nur Schweine und Geselligkeit, aber eine ganz andere Art von Geselligkeit als früher bei uns inNordholland. Karneval zum Beispiel, kannst Du Dir Karneval vorstellen? Kannst Du Dir mich in Narrenkleidung vorstellen, im Clownskostüm mit Maske? Und alle lachen dauernd, als ob es etwas zu lachen gäbe.
Unsere beiden Töchter sind typische Brabanterinnen, aber weil sie unsere Töchter sind, mit denen ich mich sehr gut verstehe, stört mich das nicht so. Sie sind sehr lieb und haben beide einen netten Mann und kleine Kinder (ja, ich bin Oma!). Sie wohnen nur einen Steinwurf entfernt, ich kann also jederzeit zu ihnen, wenn ich möchte.
Unser Sohn (jetzt sehe ich erst, daß ich »unser« schreibe, obwohl Wien fast schon ein Jahr tot ist) ist weniger typisch für hier. Ich weiß nicht, wie das kommt, vielleicht hat er mehr von
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