Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
auf.
»Danke«, sage ich. »Gibst du’s an?«
»Nein.«
»Schön.«
Er geht zu seinem Lastwagen, der mitten auf dem Hof steht. Bevor er ins Fahrerhaus steigt, sagt er: »Schöne Weihnachten.« Er hat einen redseligen Tag.
Ich stelle den Wagen am Anfang von ’t Prooyen ab, ich glaube mich zu erinnern, daß es dort eine Kunsthandlung gibt. Richtig, Simmie’s heißt das Geschäft, Ecke Zuidereinder Molensteeg. Ich merke, daß ich nervös bin, und öffne die Ladentür, ohne durch die Fenster geschaut zu haben. Eine große Frau in weiten Kleidern kommt auf mich zu, offenbar die Künstlerin selbst. Ob ich eine Frage habe? Nein, ich möchte mich nur kurz umschauen. Damit bin ich sehr schnell fertig; wenn diese bunten Kleckse Kunst sind, bin ich ein reicher Großbauer aus Groningen. Als ich wieder auf die Straße komme, steigt mir Holzfeuergeruch von der nächsten Fischräucherei in die Nase. Ich kaufe ein Pfund Aal, das der Fischverkäufer in Zeitungspapier einwickelt und in eine Plastiktüte steckt. Dann gehe ich ein Stück am Wasser entlang. In der Gegend der Engelse Hoek gibt es eine Galerie. Auf Wandbrettern stehen Specksteinskulpturen, die ich sehr schön finde, vor allem für die Finger, aber ich hatte an ein Gemälde gedacht. Übers Noordeinde kehre ich ins Zentrum zurück. Überall hängen Transparente, auf denen FEUERWERK steht. Bei De Waegh hat man unter der Terrassenüberdachung eine Weihnachtskrippe mit lebensgroßen Kühen und Eseln aufgebaut. Ein Kind faßt einem der Esel an die Nase und fällt vor Schreck fast von dem erhöhten Bretterboden der Krippe, weil der Kopf des Esels hin und her zu schaukeln beginnt. Auf einem Prahm im alten Hafen steht ein riesiger Weihnachtsbaum mit eingeschalteten Lichtern. Der Prahm steckt im Eis fest.
Auf dem Rückweg zum Auto komme ich an einemAntiquitätenladen vorbei. Ich gehe hinein, obwohl ich gar kein altes Gerümpel suche, das habe ich schließlich gerade auf den Holzhaufen geworfen oder in Henks Zimmer verstaut. In einer dunklen Ecke sitzt ein alter Mann; er hebt den Blick, sagt oder fragt aber nichts. Ich lege die Plastiktüte mit dem Aal auf einen Stuhl an der Tür und schaue mich um. Auf einem Eichentisch liegt ein Stapel alter Karten. Was ich mit einer alten Karte soll, weiß ich nicht, sehe den Stapel aber trotzdem durch. Nordholland, die Polder, irgend etwas, das ich nicht gleich erkenne, Marken, der Beemster. Ich lasse eine Karte nach der anderen auf den Tisch fallen, bis ich wieder bei dem angekommen bin, was ich nicht erkannt habe. Ich ziehe die Karte aus dem Stapel. Es ist Dänemark, ein altes Dänemark, überwiegend grün, mit drei Nebenkarten, Island, Bornholm und den Färöern. Island und die Färöer haben braune Farbtöne. Die Karte ist tadellos erhalten, nur der Rand ist leicht angegilbt. Ich kaufe sie und bekomme auf den Fünfziger, den ich dem alten Mann gebe, sogar noch Geld zurück. Anschließend überquere ich die Straße und gehe ins Rahmengeschäft. Ich finde einen breiten, klar lackierten Holzrahmen in der passenden Größe. Außer mir ist kein Kunde im Laden, der Rahmenmacher hat Zeit, mir ein Stück entspiegeltes Glas zuzuschneiden. Er packt den Rahmen und das Glas getrennt ein. Auf die fünf Fünfziger, die ich ihm gebe, bekomme ich kein Wechselgeld heraus. Bevor ich mich auf den Weg zum Auto mache, gehe ich noch einmal in den Antiquitätenladen. Ich hatte in der Aufregung meinen Räucheraal liegen lassen.
Auf der Heimfahrt denke ich an Jarno Koper. In Jütland.Ich esse rasch ein paar Scheiben Brot und gehe dann zum zweiten Mal an diesem Tag über die Weiden zum Groote Meer. Das Licht ist anders als heute morgen, und bei der Wake hat sich eine Schar Gänse niedergelassen. Ich ziehe meine Schlittschuhe an und gehe aufs Eis. Als ich den See zweimal umrundet habe, bin ich so schnell, daß ich keine geraden Stücke mehr zu laufen brauche. Ich laufe eine einzige große Kurve, eine Kurve ohne Ende. So lange, bis ich nicht mehr kann.
Nach dem Melken esse ich die Hälfte des Aals mit etwas Brot. Dazu trinke ich ein Glas Milch. Als ich fertig bin, bringe ich einen Apfel nach oben. Ich mache das Licht in seinem Zimmer an. Er liegt auf dem Rücken, die Augen weit geöffnet; die Decke hat er bis zur Nase hochgezogen. Er strahlt kaum Wärme ab, die Fensterscheiben sind unten mit Eisblumen bedeckt. Vielleicht erfriert er ja diese Nacht.
»Ich hab einen Apfel für dich«, sage ich.
»Kalt«, sagt er.
»Ja, es friert.« Ich lege den Apfel auf
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