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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Heeg
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durchschlagen. Auf dem Beifahrersitz hat Evelyn die Stirnlampe an, den Autoatlas auf den Knien und spielt GPS für mich, während ich die Reste meiner Konzentration für das Fahren auf der regennassen Fahrbahn mobilisiere und zwischen den schabenden Scheibenwischern nach draußen starre. Wir passieren eine riesige chemische Anlage, auf deren Spitze mit einer enormen Flamme irgendetwas abgefackelt wird. In der schmuddeligen Dunkelheit wirkt das alles besonders monströs und erinnert mich an die Atmosphäre in den ersten Minuten von »Blade Runner«, einem Science-Fiction-Klassiker mit Harrison Ford. Eine ziemlich feindliche Welt da draußen.

    Zwischendurch reden wir über das Symposium.
    »Ich habe mich ein bisschen fehl am Platz gefühlt«, meint Evelyn.
    »Für mich war es spannend«, sage ich, »besonders die Sache mit der Ähnlichkeit des Tumors mit einem gutartigen Geschwür und der Mammographie.«
    »Ich frage mich inzwischen wirklich, ob der Doktor Schmieder überhaupt weiß, was er da macht. Die Mammographie bringt bei mir nix, weil ich erst 28 bin. Und beim Ultraschall kann man den BRCA1-Tumor ganz einfach mit was Gutartigem verwechseln. Dabei ist das genau die Vorsorge, die er seit Jahren mit mir durchführt.«
    Ganz zu schweigen davon, dass die Mammographie eine zusätzliche Strahlenbelastung darstellt, für die gerade junge Frauen besonders empfindlich sind. Im Klartext war die Mammographie bei Evelyn nicht bloß sinnlos, sondern auch noch gefährlich, denn gerade eine erhöhte Strahlendosis ist eben eine Ursache für die Schädigung der DNA von Zellen, und das kann zum Wachstum von Tumoren führen.
    Ich finde auch, dass Doktor Schmieder nicht mehr so wahnsinnig verlässlich klingt nach diesen Informationen.
    »Du hast ihm doch gleich am Anfang gesagt, dass deine Mutter an Brustkrebs gestorben ist?«
    »Ja, klar. Da muss ich demnächst mal hin«, sagt Evelyn. Sie starrt aus dem Fenster.
    »Was ist?«, will ich schließlich wissen.
    »Wieder ein Termin mehr. Die nächsten Monate werden anstrengend. Eigentlich habe ich jetzt wochenlang kaum Zeit für so etwas. Ich sollte versuchen, noch einen Termin in den Ferien zu bekommen. Das nervt.«

UNVERSCHÄMTHEIT
    Zurück in Freiburg. Vor allem Tino ist froh, wieder in den eigenen vier Wänden zu sein. Die Studi-WG meiner Schwester war nicht so ganz nach seinem Geschmack. Obwohl sie in ihrer Miniküche sogar eine Spülmaschine haben. Das ist auch für uns noch Luxus, wir waschen alles von Hand ab. Eine meiner ersten Taten ist ein Anruf bei meinem Frauenarzt. Was wir auf dem Symposium gehört haben, brennt mir auf den Nägeln. Die Sprechstundenhilfe hat noch einen Termin in den Ferien.
    »Gleich diesen Mittwochnachmittag, um 15 Uhr?«
    Das kommt mir natürlich gelegen. Die Praxis von Doktor Schmieder ist nur einige Straßen entfernt und befindet sich in einem typischen Wiehrehaus, ein Gründerzeitbau mit hohen Decken. Nicht eben gedacht für eine Arztpraxis, alles ist sehr eng. Der Gang ist gleichzeitig der Empfang, und an den Wänden hängen mal wieder massenweise Fotos von Säuglingen. Noch bevor ich mich angemeldet habe, höre ich schon die Herztöne von einem ungeborenen kleinen Menschen. Der Ultraschall der Schwangeren wird in einem Zimmer am Ende des Flurs gemacht, durch die alten Türen dringen die Geräusche problemlos bis auf den Gang. Die Arzthelferin sitzt hinter der Theke und sortiert Karteikarten. Auf dem Regal hinter ihr liegt eine Tafel Schokolade, Milka Alpenmilch. Ich habe schon öfter beobachtet, wie der Doktor zwischen zwei Patientinnen etwas davon nascht. Offenbar seine Notration. Sie bittet mich ins Wartezimmer, wo ich wie üblich allein bin. Schön, denke ich, das wird alles schnell über die Bühne gehen. Und so ist es auch. Nach kurzer Wartezeit bin ich dran. Doktor Schmieder ist ein Mann um die sechzig, schlank und relativ klein, er hat sich gut gehalten für sein Alter. Er reicht mir die Hand und bittet mich, Platz zu nehmen. Er wirft einen Blick in die Karteikarte und schaut schließlich wieder auf.
    »Was führt Sie heute zu mir?«, fragte er mich mit einem freundlichen Lächeln.
    »Ich habe Ihnen ja schon mal erzählt, dass ich mich dem Programm der deutschen Krebshilfe zu familiärem Brustkrebs angeschlossen habe. Letzte Woche war da ein Symposium in Köln.«
    Ich bin etwas nervös und mache eine kleine Pause, aber Doktor Schmieder nickt mir aufmunternd zu. »Dort habe ich in einem Vortrag erfahren, dass die Tumore der familiären

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