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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Heeg
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die Ecke – wo ich meinen Regionalzug gerade noch abfahren sehe.
    Der hat offensichtlich nicht auf mich gewartet. Schlecht. Ich fingere das Handy heraus und gebe in der Klinik Bescheid, dass ich nicht wie geplant ankomme: Den Abholdienst brauche ich eine Stunde später. Ich weiß ehrlich gesagt eh nicht, wie die in Schönau auf mein Rad reagieren werden. Das bereitet mir schon etwas Bauchschmerzen. Aber vorher fragen wollte ich auch nicht, denn am Ende hätten sie es mir vielleicht verboten. Umso unangenehmer, jetzt gleich mal mit Verspätung zu starten.
    In einer Stunde geht es weiter. Ich gönne mir eine Latte macchiato, die ausgesprochen gut schmeckt. Ansonsten cruise ich mit meinem Gepäckwagen ein bisschen durch den Hauptbahnhof, bis es wieder Zeit wird. Überraschenderweise verkehrt dieser Zug aber angeblich nicht bis Berchtesgaden, wie ich auf der Anzeigentafel lese. Warum das? Ich schaue mich suchend um, aber weit und breit ist kein Schaffner zu finden. Ein Mitreisender meint, wir sollten trotzdem einsteigen: »Bis Bad Reichenhall kommen wir auf jeden Fall.« Und wie geht es von da weiter?
    Während wir im Zug sitzen, sickern langsam neue Informationen durch. Es gäbe Hochwasser, die Strecke zwischen Reichenhall und Berchtesgaden sei überschwemmt. Das kann ich mir schon vorstellen. Nur weiß ich nicht, wie ich von da in die Klinik kommen soll. Also rufe ich wieder an und gebe den neuesten Stand durch. Währenddessen füllt sich der Zug immer weiter, die Luftfeuchtigkeit im Abteil ist extrem hoch, und die Stimmung leicht gereizt. Wir hätten eigentlich schon längst abfahren sollen, und schließlich verlassen wir München schon wieder mit deutlicher Verspätung. Zugegeben, es sieht überall nach sehr viel Wasser aus. Wir halten immer wieder, auch auf offener Strecke, und machen so nicht gerade Zeit gut. Die Gerüchteküche brodelt, und neben den üblichen Durchsagen verbreiten Mitreisende Neuigkeiten über die Strecken- und Straßenverhältnisse. Ich komme mir ziemlich verloren vor. Schließlich kenne ich die Gegend hier nur sehr grob und kann nicht sagen, ob es für mich von Bedeutung ist, wenn irgendeine Landstraße zwischen Blabla und Blabla gesperrt ist oder nicht. Vielleicht hilft Musik, denke ich und hole den Disc-Man heraus. Allerdings darf die Musik nicht zu depressiv sein. Gute-Laune-Musik wäre aber auch fehl am Platz, dazu fühle ich mich zu leer. Ich entscheide mich für Bruce Springsteen, und das vertreibt mir die Zeit, während wir weiter durch den Regen nach Osten tuckern.
    Schließlich kommt Bad Reichenhall in Sicht, und tatsächlich ist hier Endstation. Für die Fahrgäste Richtung Berchtesgaden hat die Bahn einen Schienenersatzverkehr mit Bussen auf die Beine gestellt. Wir kommen aus dem Bahnhof und sehen: mit genau zwei Bussen, auf die jetzt der Sturm beginnt. Und ich stecke, schwer bepackt mit Rucksack und Fahrradsack, zwischendrin. Uns allen ist nicht klar, ob später weitere Busse auftauchen. Das macht die Stimmung natürlich nicht entspannter. Ich muss es also irgendwie da rein schaffen – und es gelingt mir auch. Ich lande auf einem Sitz mitten in einer Schulklasse auf dem Weg ins Schullandheim. Wie passend, denke ich. Mein Gepäck habe ich neben mir untergebracht. Die Kinder finden das alles ziemlich witzig, was mir hilft, mich abzulenken. Sie interessieren sich natürlich für meine komische große Tasche.
    »Was ist da drin?«
    »Ein Fahrrad.«
    Das glauben sie mir nicht und denken, ich will sie verschaukeln.
    Ich mache den Reißverschluss etwas auf und lasse sie reingucken. Das überzeugt sie dann.
    »Kommst du zum Radfahren hierher?«, will ein besonders vorwitziger Junge wissen.
    Nun ja, so kann man das eigentlich nicht sagen. Aber was antworte ich ihm? Ich entscheide mich für die Halbwahrheit: »Nicht nur zum Radfahren.«
    Wenn die wüssten, dass ich gerade von einem Schullandheim hätte zurückkommen sollen. Ich frage sie dann ein bisschen über ihren geplanten Aufenthalt aus. Sie haben überhaupt keine Lust auf die Berge. Witzig, ich gehe freiwillig hin, ja, fahre dafür sogar durch die halbe Republik. Zumindest versuche ich es.
    Es ist verdammt eng hier drin, die Luft ist warm und voller muffiger Gerüche nach feuchten Klamotten und verschwitzten Menschen. Durch die beschlagenen Scheiben sehe ich nur verschwommen, dass die Bäche über die Ufer getreten sind. Ab und zu taucht die Bahnlinie auf, die meist parallel zur Straße verläuft. Tatsächlich sind die Gleise an

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