Oben ohne
Einen Audi A8, wie sie mir mit gewissem Stolz erzählt. Evelyn war heute früh pünktlich abgeholt worden, berichtet die Bettgenossin. Ich packe meine Arbeit aus und beginne zu redigieren. Irgendwann verabschiedet sich die Frau, später schaut gelegentlich eine Schwester herein, sucht irgendetwas oder bietet mir eine Zeitung an. Gegen Mittag gehe ich durch den Englischen Garten Richtung Schwabing, um mir ein Sandwich zu holen. Als ich zurück bin, ist es vorbei mit der Konzentration. Es ist sowieso die Zeit meines üblichen Mittagslochs. Inzwischen stehen die Zeiger bald auf zwei Uhr, Evelyn könnte also demnächst aus dem OP-Saal in den Aufwachraum gebracht werden. Ich hole mir einen Tee auf dem Gang und erkundige mich bei einer Schwester. Nein, noch keine Spur von Frau Heeg.
Das zweite Bett in Evelyns Zimmer ist noch nicht wieder neu belegt worden. Deshalb kann sie jetzt auf den besseren Platz am Fenster umziehen. Von da sieht man im Liegen jede Menge Himmel und die Kronen einiger Bäume. Das wird ihr in den kommenden Tagen hoffentlich etwas helfen, denke ich, während ich hinausschaue.
Das Warten geht mir langsam richtig auf die Nerven. Wie immer, wenn ich nervös bin, habe ich nicht viel Hunger und kaue lustlos auf meinem Brötchen herum. Das wird sich später noch rächen. Aber im Moment geht einfach nicht mehr. Das leere Krankenzimmer wirkt seltsam leblos. Es ist eigentlich richtig nett eingerichtet, sieht man einmal ab von den üblichen Notwendigkeiten eines solchen Raums wie dem pflegeleichten PVC-Boden in einem undefinierbaren hellen Grauton und diversen technischen Anschlüssen über den Betten. Ansonsten ist hier alles sehr stilvoll, eine gelungene Mischung aus alter Bausubstanz und neu renovierten Teilen wie dem Bad. Wenn ich mich an die große Fensterfront stelle, kann ich in den Englischen Garten sehen, direkt unter dem Zimmer liegt eine kleine Rasenfläche, und mitten drauf steht eine Tanne. Alles sehr hübsch hier, ohne Frage. Aber eigentlich interessiert mich inzwischen nur noch, wann Evelyn im Aufwachraum erscheint. Ich schaue auf die Uhr, fast drei Uhr, und noch immer nichts. Ich klopfe sachte an die Tür des Aufwachraums, doch die diensthabende Schwester, eine stämmige Frau mit einem leichten osteuropäischen Akzent, schüttelt den Kopf. Keine Frau Heeg, nirgends. Es hieß ursprünglich doch, dass die Operation etwa sieben Stunden dauern würde. Wenn sie heute Morgen früh pünktlich angefangen haben, müssten sie längst fertig sein. Läuft da etwas schief?
Eine gute Stunde später kommt endlich Bewegung in dieses Geduldsspiel: Man holt Evelyns Bett aus dem Zimmer, um es zum OP-Saal zu bringen. Sie wird also gleich fertig sein.
Ich drücke mich nochmal zwanzig Minuten im Zimmer herum, versuche relativ erfolglos ein paar Seiten zu redigieren, aber dann gehe ich zum Aufwachraum den Gang hinunter. Ja, jetzt sei sie da, gibt mir die Krankenpflegerin zu verstehen. Tatsächlich liegt sie hinten links an der Wand des Zimmers. Der Raum ist nicht sonderlich groß, fast quadratisch, und es stehen insgesamt vier Betten darin. Es gibt noch einen Nebenraum, doch im Moment sehe ich erst mal nur meine Frau, die unter einer enormen Decke liegt und an der jede Menge Schläuche und Kabel hängen. Neben ihr stehen diverse Gerätschaften, die akkurat piepsen, schnaufen oder sonstige Geräusche von sich geben. Ich bahne mir vorsichtig einen Weg neben ihr Bett und schaue sie prüfend an. Sie ist noch bewusstlos. So nehme ich das jedenfalls wahr. Schlafen sieht irgendwie anders aus. Keine Ahnung, warum. Ihr Gesicht wirkt leicht angeschwollen und glänzt von einem dünnen Schweißfilm. Ein Gerät am Fußende des Bettes bläst durch einen fast obszön dicken Schlauch heiße Luft unter Evelyns Decke. Nicht, dass es hier drinnen sonderlich kalt wäre, im Gegenteil, es ist stickig und warm. Ich merke, wie mir der Schweiß ausbricht. Neben dem Kopfende steht das Überwachungsgerät für Puls, Blutdruck, Herzschlag und weiß der Henker was. Der schwarze Kasten ist ordentlich am Piepsen, aber das beeindruckt die Schwester nicht sonderlich. Evelyns Puls ist ständig bei über hundertzwanzig Schlägen. Das ist für meine Begriffe ziemlich viel, schließlich hat sie eigentlich einen Ruhepuls von knapp unter fünfzig Schlägen pro Minute. Solche Pulswerte wie jetzt haben wir, wenn wir mit fünfundzwanzig Kilometern pro Stunde auf dem Rennrad unterwegs sind. Ihr Körper hat offensichtlich richtig zu arbeiten.
All das trägt
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