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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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in Genua angekommen, sofort die Vorhänge zuziehen und sich ins Bett verkriechen. Machen sie aber nicht. Das Sitzen draußen vor der Tür scheint ein Relikt aus der prähistorischen Menschheitsgeschichte zu sein. Sitzen vor der Höhle bedeutete: Kein Feind in Sicht, genug Wild erlegt, Zeit, mit der Entwicklung der Trigonometrie zu beginnen.
     
    »Dass der Jennerwein einem Wilderer nachjagt, das glaubst du doch selber nicht«, sagte Ursel.
    »Natürlich glaube ich das nicht, aber
wenn
es eine Finte ist, dann ist sie gut gemacht«, erwiderte Ignaz. »Ich glaube, dass der Jennerwein etwas ganz anderes sucht, und dieser Wilderer-Schmarrn soll davon ablenken.«
    »Und was soll das sein? Italienische Familien operieren doch schon längst nicht mehr im Kurort.«
    »Es gibt auch noch andere außergesetzliche Organisationen.«
    »Triaden, oder was? Im Werdenfelser Land? Und was sollten die da tun?«
    »Gut, dass wir mit diesen Sachen nichts mehr zu tun haben. Wir haben dem Jennerwein geholfen, und damit basta.«
    Beide schwiegen eine Weile. In der Ferne bildeten sich futuristisch anmutende Föhnlinsen. Ursel und Ignaz Grasegger genossen das Schauspiel.
    »Ich bin vorhin noch beim Hartl Peter vorbeigegangen«, sagte Ursel. »Der Peter hat gesagt, dass die Polizei bei ihm war. Natürlich nicht offiziell, eine junge Polizistin hat sich verdeckt umgeschaut.«
    »Die Schwattke?«
    »Genau die. Die hat eine Vierzehnjährige gespielt. Gar nicht so schlecht, sagt der Hartl. Sogar den Dialekt hat sie versucht nachzumachen. Auch gar nicht so schlecht.«
    »Und? Hat er ihr seinen Hobbykeller gezeigt?«
    »Ja, sagt der Hartl, sie haben aber bisher noch nicht auf sein altes Opium-Gerümpel reagiert, das er aus dem Kambodscha-Urlaub mitgebracht hat.«
    »Also müssen sie was Größeres im Auge haben. Der Hölli hat uns doch gefragt, wo man jemanden gut verstecken kann. Sie suchen also eine Person. Eine wichtige Person, sonst würden die nicht so einen Aufwand treiben. Ist denn schon wieder ein Politiker entführt worden?«
    »Wenn sie so ein absurdes Versteck wie die Höllentalklamm in Angriff nehmen, dann müssen sie jedenfalls schon sehr verzweifelt sein.«
    Drei mächtige Föhnlinsen, die Vorboten eines gewaltigen Stimmungsumschwungs im Werdenfelser Land, waren näher gerückt. Die Graseggers blickten dem kommenden Föhnsturm gelassen ins Auge. Sie waren beide nicht föhnfühlig, verstanden darum die ganze Aufregung um diesen warmen Fallwind nicht.
    »Vielleicht ist ja doch was dran an der Geschichte mit den Flößern«, sagte Ignaz.
    »Schmarrn ist da was dran. Irgendwelche Höhlen gibt es schon – aber Überlebende! Spinnst du?«
    »Das ist doch eine schöne Vorstellung! Es wären sozusagen Verwandte von mir.«
    »Eine schöne Verwandtschaft hätten wir da!«
    »Warum hast du eigentlich gesagt, dass dieses Flößerlied unbekannt ist? Nun gut, es ist wahrscheinlich nie gedruckt worden, aber ein paar Volksmusikgruppen singen es doch noch!«
    »Wer denn?«
    »Die Herbratzederdorfer Dirndln, der Truderinger Dreigesang, der Appenreuschler Viergsang –«
    »Ja gut, aber wer hört sich denn sowas an! Alpenfolklore!«
    »Die Raabelseer Buam –«
     
    Das war das Stichwort für Ignaz. Er war bekennender Alpenzwiegsangsjunkie. Er ging zum Plattenschrank – jawohl zum Plattenschrank! – und holte eine Scheibe der
Raabelseer Buam
heraus, die gleich darauf losraabelten, dass es eine Freude war.
    »Du solltest die Platten einmal auf den Computer überspielen.«
    »Dazu müsste ich ihn erst einmal auspacken.«
    »Aber sag einmal, dieser geheimnisvolle Bieter damals, der für die Höllentalklamm so viel Geld gezahlt hat, von dem hat man nie mehr etwas gehört, oder?«
    »Nie mehr«, sagte Ignaz, und zwei herzige Männerstimmen hoch in den Achtzigern trällerten
♫ Junges Dirndl – ich will dein Einziger sein bis morgen früh!
    »Padrone Spalanzani hat vermutet, dass das der Abgesandte von einem internationalen Waffenhändlerring war, der das wichtige Versteck im Werdenfelser Land schützen wollte. Der Harrigl hat erzählt, es war ein erstaunlich fremdsprachenkundiger Mann, deswegen hat ihn der Gemeinderat für einen international agierenden Greenpeace-Aktivisten gehalten.«
     
    Schweigend saßen die beiden da. In die Stille hinein sagte Ursel:
    »Meinst du, wir sollten einmal nachschauen?«
    »Wo nachschauen?«
    »Na, wo wohl!? In der Höllentalklamm halt! Der Jennerwein hat auf mich so gewirkt, als ob er es eilig hat. Als ob er heute

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