Oblomow
Ende gesprochen war, und an das man mit einer schelmischen Frage herantreten konnte, war zwischen ihnen schon ohne Worte, ohne Erklärungen entschieden; Gott weiß, wieso das geschehen war, man konnte darauf aber nicht mehr zurückkommen.
»Warum lassen Sie sich so lange nicht sehen?« fragte sie.
Er schwieg. Er wollte sie wieder irgendwie indirekt verstehen lassen, daß der heimliche Zauber ihrer Beziehungen verschwunden sei, daß diese Abgeschlossenheit, mit der sie sich wie mit einer Wolke umgeben hatte, auf ihm laste, es war, als hätte sie sich in sich selbst zurückgezogen, und er wußte nicht, was er zu tun und wie er sich ihr gegenüber zu benehmen hatte. Doch er fühlte, daß die geringste Andeutung darauf in ihr einen erstaunten Blick hervorrufen würde, dann würde ihr Benehmen noch kälter werden und jener Funke von Teilnahme, den er gleich am Anfang so unvorsichtig ausgelöscht hatte, würde vielleicht endgültig verschwinden. Er mußte ihn still und unmerklich anfachen, doch er wußte nicht im entferntesten, wie er das anfangen sollte. Er begriff dunkel, daß sie gewachsen und jetzt größer war als er, daß es von jetzt ab zur kindlichen Vertraulichkeit keine Rückkehr mehr gab, daß sie vor dem Rubikon standen, daß das verlorene Glück sich schon auf dem andern Ufer befand; man mußte ihn überschreiten. Aber wie? Und was, wenn er diesen Schritt allein machte? Sie begriff klarer als er, was in ihm vorging, und war darum im Vorteil. Sie blickte offen in seine Seele, sah, wie darin ein Gefühl aufkeimte, wie es sich entwickelte und äußerte; sie sah, daß weibliche List, Schelmerei und Koketterie – Sonitschkas Waffen – hier überflüssig waren, da kein Kampf bevorstand. Sie sah sogar, daß ihr trotz ihrer Jugend in dieser Sympathie die erste und wichtigste Rolle zufiel, daß von ihm nur tiefe Eindrücke, leidenschaftlich träge Fügsamkeit und ewige Harmonie mit jedem ihrer Pulsschläge, aber keine Regung des Willens, kein aktiver Gedanke zu erwarten war. Sie hatte ihre Macht über ihn im Augenblick abgeschätzt, und ihr gefiel diese Rolle eines Leitsterns, eines Lichtstrahls, den sie über diesen stehenden See ausströmte, um sich darin widerzuspiegeln. Sie hatte in diesem Zweikampf verschiedenartige Triumphe errungen. In dieser Komödie oder Tragödie, je nach den Umständen, erscheinen die beiden Hauptpersonen fast immer mit dem gleichen Charakter des Quälers oder der Quälenden und des Opfers. Wie jede Frau in der Hauptrolle, das ist in der Rolle der Quälenden, konnte sich auch Oljga, nur im geringeren Maße und unbewußt, nicht das Vergnügen versagen, mit ihm ein wenig katzenhaft zu spielen; manchmal entströmte ihr wie ein Blitz, wie eine unerwartete Laune die Äußerung des Gefühls, und dann zog sie sich plötzlich wieder zurück und vertiefte sich in sich selbst. Aber noch häufiger stieß sie ihn vorwärts, da sie wußte, daß er selbst keinen Schritt machen und unbeweglich dort bleiben würde, wo sie ihn zurückließ.
»Hatten Sie zu tun?« fragte sie, an einem Kanevasstreifen stickend.
Ich würde sagen, daß ich zu tun hatte, aber dieser Sachar! stöhnte es in seiner Brust.
»Ja, ich habe einiges gelesen«, gab er nachlässig zur Antwort.
»Was denn, einen Roman?« fragte sie und richtete auf ihn die Augen, um zu sehen, mit welchem Gesichte er lügen würde.
»Nein, ich lese fast gar keine Romane«, antwortete er sehr ruhig, »ich habe ›Die Geschichte der Entdeckungen und Erfindungen‹ gelesen.«
Gott sei Dank, daß ich heute eine Seite überflogen habe! dachte er.
»Russisch?« fragte sie.
»Nein, englisch.«
»Sie lesen englisch?«
»Mit Mühe, aber ich lese doch. – Waren Sie nicht irgendwo in der Stadt?« fragte er, hauptsächlich, um das Gespräch über die Bücher abzubrechen.
»Nein, ich war die ganze Zeit zu Hause. Ich arbeite immer hier, in dieser Allee.«
»Immer hier?«
»Ja, diese Allee gefällt mir sehr; ich danke Ihnen dafür, daß Sie sie mir gezeigt haben; es geht hier fast niemand vorüber ...«
»Ich habe sie Ihnen nicht gezeigt«, unterbrach er sie, »erinnern Sie sich noch? Wir sind hier einander zufällig begegnet.«
»Ja, in der Tat.«
Sie schwiegen.
»Ist Ihr Gerstenkorn ganz vergangen?« fragte sie, ihm geradeaus ins rechte Auge blickend.
Er errötete.
»Jetzt ist es, Gott sei Dank, vergangen.«
»Netzen Sie das Auge mit einfachem Wein, wenn es zu jucken beginnt, dann vergeht das Gerstenkorn. Meine Kinderfrau hat es mich
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