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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
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gelehrt.«
    Warum spricht sie immer von den Gerstenkörnern? dachte Oblomow.
    »Und essen Sie abends nicht?« fügte sie ernst hinzu.
    Sachar! stieg in seiner Kehle ein wütender Ausruf auf.
    »Sowie man abends viel ißt«, fuhr sie fort, ohne die Augen von der Arbeit zu heben, »und drei Tage liegt, besonders auf dem Rücken, dann kommt sicher ein Gerstenkorn.«
    Dummkopf! rief Oblomow in seinem Innern Sachar zu.
    »Was arbeiten Sie?« fragte er, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.
    »Einen Klingelzug für den Baron«, sagte sie, den Kanevasstreifen aufrollend und ihm das Muster zeigend. »Ist es schön?«
    »Ja, sehr schön, das Muster ist sehr hübsch. Das ist ein Fliederzweig?«
    »Ich glaube ... ja«, sagte sie nachlässig. »Ich habe das Muster aufs Geratewohl gewählt, es ist mir zufällig unter die Hand gekommen ...« Sie errötete ein wenig und rollte den Streifen schnell wieder zusammen.
    Das wird aber sehr langweilig, wenn es so weitergeht und man aus ihr nichts herauskriegen kann, dachte er, ein anderer, zum Beispiel Stolz, würde es herauskriegen, ich aber kann's nicht.
    Er runzelte die Stirn und blickte schläfrig um sich. Sie blickte ihn an und legte dann ihre Arbeit ins Körbchen.
    »Gehen wir bis zum Hain«, sagte sie, gab ihm das Körbchen zu tragen, öffnete selbst ihren Schirm, richtete sich das Kleid und ging.
    »Warum sind Sie traurig?« fragte sie.
    »Ich weiß nicht, Oljga Sjergejewna. Warum soll ich fröhlich sein, und wie?«
    »Arbeiten Sie, kommen Sie öfter mit Menschen zusammen!«
    »Man kann nur dann arbeiten, wenn man ein Ziel hat. Was hab' ich für ein Ziel? Ich hab' keins.«
    »Ist leben kein Ziel?«
    »Wenn man nicht weiß, wozu man lebt, lebt man nur irgendwie, einen Tag wie den anderen; man freut sich, daß ein Tag vergangen ist, daß die Nacht angebrochen ist und daß man die langweilige Frage, wozu man diesen Tag gelebt hat und wozu man morgen leben wird, im Schlaf vergessen kann.«
    Sie hörte schweigend und streng blickend zu; in den gerunzelten Brauen verbarg sich etwas Düsteres, um die Linien des Mundes glitt halb Mißtrauen und halb Verachtung, wie eine Schlange ...
    »Wozu man gelebt hat!« wiederholte sie. »Kann denn irgendeine Existenz überflüssig sein?«
    »Ja. Zum Beispiel die meinige.«
    »Wissen Sie noch immer nicht, worin das Ziel Ihres Lebens liegt?« fragte sie, stehenbleibend. »Ich glaube nicht daran; Sie verleumden sich; sonst würden Sie nicht würdig sein zu leben ...«
    »Ich habe die Stelle schon versäumt, wo das Leben sich befinden soll, und vor mir gibt es nichts mehr.«
    Er seufzte und sie lächelte.
    »Nichts mehr?« wiederholte sie, aber jetzt lebhaft, lustig, lachend, als glaubte sie ihm nicht und als sähe sie etwas vor ihm.
    »Lachen Sie«, fuhr er fort, »es ist aber so!«
    Sie ging langsam, mit gesenktem Kopf weiter.
    »Wofür, für wen werde ich leben?« sprach er, ihr folgend, »was soll ich suchen, worauf soll ich meine Gedanken und Wünsche richten? Die Blüte des Lebens ist verwelkt, es sind nur die Dornen geblieben.«
    Sie gingen langsam; sie hörte zerstreut zu, pflückte im Vorübergehen einen Fliederzweig und reichte ihn ihm, ohne ihn anzublicken.
    »Was ist das?« fragte er verblüfft.
    »Sie sehen ja, ein Zweig.«
    »Was für ein Zweig?« fragte er, sie mit weit offenen Augen anblickend.
    »Ein Fliederzweig.«
    »Ich weiß ... aber was bedeutet er?«
    »Die Blüte des Lebens ... und ...«
    Er blieb stehen, sie auch.
    »Und? ...« wiederholte er fragend.
    »Meinen Ärger«, sagte sie, ihm mit ernsten Augen geradeaus ins Gesicht blickend, und ihr Lächeln sagte, daß sie wußte, was sie tat.
    Die Wolke der Unnahbarkeit hatte sie verlassen. Ihr Blick war beredt und verständlich. Es war, als hätte sie absichtlich eine bestimmte Seite des Buches aufgeschlagen und als erlaubte sie ihm, die geheimgehaltene Stelle zu lesen.
    »Ich darf also hoffen ...«, sagte er plötzlich, freudig aufflammend.
    »Auf alles! Aber ...«
    Sie schwieg. Er war plötzlich wie ausgewechselt. Und jetzt erkannte sie ihrerseits Oblomow nicht wieder; sein gleichgültiges, umflortes Gesicht verwandelte sich plötzlich, die Augen öffneten sich; Röte stieg in seine Wangen; die Gedanken kamen in Bewegung; in den Augen leuchteten Wünsche und Wollen auf. Sie las deutlich in diesem stummen Mienenspiel, daß Oblomow jetzt plötzlich ein Lebensziel erlangt hatte.
    »Das Leben, das Leben steht mir wieder offen!« sprach er wie im Fieber, »hier ist es, in

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