Oblomow
zusammentreffen wollte, um spazierenzugehen.
Keine Antwort; er sah auf die Uhr.
»Oljga Sjergejewna!« fügte er dann laut hinzu. Stille.
Oljga saß auf dem Berge, hörte das Rufen und schwieg, das Lachen zurückhaltend. Sie wollte ihn dazu bringen, den Berg zu besteigen.
»Oljga Sjergejewna!« rief er, als er den Berg durch das Gebüsch bis zur Hälfte erklommen hatte und in die Höhe blickte. »Sie hat mich um halb sechs Uhr bestellt«, sprach er zu sich selbst.
Sie konnte ihr Lachen nicht länger zurückhalten.
»Oljga, Oljga! Ach, da sind Sie ja!« sagte er und stieg auf den Berg hinauf.
»Ach! wieso macht es Ihnen Vergnügen, sich auf dem Berg zu verstecken!« – Er setzte sich neben sie. »Um mich zu quälen, quälen Sie sich selbst.«
»Woher kommen Sie? Von zu Hause?« fragte sie.
»Nein, ich war bei Ihnen; man hat mir dort gesagt, daß Sie fortgegangen sind.«
»Was haben Sie heute getan?«
»Heute ...«
»Sachar geschimpft?« fragte sie.
»Nein, ich habe die Revue gelesen. Aber hören Sie, Oljga ...«
Doch er sagte nichts, er setzte sich nur neben sie und versenkte sich in das Betrachten ihres Profils, ihres Kopfes, ihrer Handbewegungen, als sie die Nadel in den Kanevas steckte und wieder herauszog. Er richtete seinen Blick wie ein Brennglas auf sie und konnte ihn nicht mehr abwenden. Er selbst bewegte sich nicht, und nur sein Blick wandte sich bald nach rechts, bald nach links, bald nach unten hin, je nachdem die Hand sich bewegte. In ihm arbeitete alles angestrengt; er hatte einen beschleunigten Blutumlauf, sein Pulsschlag verdoppelte sich und in seinem Herzen wogte es – das alles übte auf ihn eine solche Wirkung aus, daß er langsam und schwer atmete, wie man vor der Hinrichtung und im Augenblick der größten Wonne der Seele atmet. Er war stumm und konnte sich nicht einmal rühren, nur seine vor Bewegung feuchten Augen waren unablässig auf sie gerichtet.
Sie warf ihm ab und zu einen tiefen Blick zu, las den einfachen Inhalt von seinem Gesichte ab und dachte: O Gott, wie er liebt! Wie zärtlich er ist! Und sie bewunderte ihn und triumphierte über diesen durch ihre Macht zu ihren Füßen hingestreckten Menschen!
Der Moment der symbolischen Andeutungen, des vielsagenden Lächelns, der Fliederzweige, war unwiederbringlich verstrichen. Die Liebe wurde strenger, stellte größere Anforderungen, begann sich in eine Pflicht zu verwandeln; es machten sich gegenseitige Rechte geltend. Beide Teile wurden immer aufrichtiger; die Mißverständnisse und Zweifel verschwanden oder machten deutlicheren und ausgesprocheneren Fragen Platz.
Sie stichelte ihn mit leichten Sarkasmen wegen der im Nichtstun totgeschlagenen Jahre, sprach über ihn ein strenges Urteil, verwarf seine Apathie tiefer und wirksamer als Stolz; dann, in dem Maße, als sie ihm nähertrat, ging sie von den Spötteleien über sein träges, welkes Leben zur despotischen Äußerung ihres Willens über, erinnerte ihn kühn an das Ziel des Lebens und an seine Pflichten, forderte streng Betätigung von ihm und brachte unablässig seinen Geist in Bewegung, indem sie ihn in eine komplizierte, ihr wohlbekannte Lebensfrage verwickelte oder zu ihm selbst mit einer Frage über etwas Unklares, ihr Unzugängliches kam. Und er mühte sich ab, zerbrach sich den Kopf, wand sich hin und her, um nicht in ihren Augen tief zu fallen oder um ihr irgendeinen Knoten lösen zu helfen und, wenn es nicht ging, ihn heroisch zu durchschneiden. Ihre ganze weibliche Taktik war von zärtlicher Sympathie erfüllt; alle seine Bestrebungen, der Regsamkeit ihres Verstandes nachzukommen, atmeten Leidenschaft aus. Aber am häufigsten ermattete er, legte sich zu ihren Füßen hin, hielt sich die Hand ans Herz und lauschte seinen Schlägen, ohne seinen reglosen, erstaunten, entzückten Blick von ihr zu wenden. Wie er mich liebt! sagte sie sich in diesen Momenten, ihn bewundernd. Wenn sie aber manchmal die verborgenen, alten Züge in Oblomows Seele entdeckte – und sie verstand es, tief in sie hineinzuschauen –, die geringste Müdigkeit, eine kaum merkliche Schläfrigkeit der Lebenstätigkeit, schüttete sie über ihn ihre Vorwürfe aus, denen sich ab und zu die Bitternis der Reue, die Furcht, einen Irrtum begangen zu haben, beimischte. Wenn er manchmal zu gähnen beabsichtigte und den Mund öffnete, wurde er von einem erstaunten Blick getroffen; er schloß dann augenblicklich den Mund, so daß die Zähne zusammenklappten. Sie verfolgte den geringsten Schatten von
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