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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iwan Gontscharow
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fort, damit ich nicht noch länger weinen muß, wenn ich ihn sehe.«
    Er versteckte ihn schweigend in die Tasche und saß mit gesenktem Kopf da.
    »Sie werden wenigstens meinen Absichten Gerechtigkeit widerfahren lassen, Oljga?« sprach er leise, »das ist ein Beweis, wie teuer mir Ihr Glück ist.«
    »Ja, sehr teuer!« sagte sie seufzend. »Nein, Ilja Iljitsch, Sie haben es mir wahrscheinlich nicht gegönnt, daß ich ein so stilles Glück genoß, und Sie haben sich beeilt, dieses Glück zu trüben.«
    »Zu trüben! Sie haben also meinen Brief nicht gelesen? Ich werde ihn wiederholen ...«
    »Ich habe ihn nicht zu Ende gelesen, weil meine Augen sich mit Tränen gefüllt haben; ich bin noch so dumm! Ich habe aber das übrige erraten; wiederholen Sie nicht, damit ich nicht mehr zu weinen brauche.«
    Die Tränen tropften wieder herab.
    »Sage ich mich denn nicht deshalb von Ihnen los,« begann er, »weil ich Ihr Glück in der Zukunft sehe und mich ihm zum Opfer bringe? ... Tue ich es denn ruhig? Weint denn nicht alles in mir? Warum tue ich es denn?«
    »Warum?« wiederholte sie, hörte plötzlich zu weinen auf und wandte sich zu ihm um, »aus demselben Grunde, aus dem Sie sich jetzt ins Gebüsch versteckt haben; um zu sehen, ob ich weinen werde und wie ich es tue, darum! Wenn Sie aufrichtig das wollten, was im Briefe steht, wenn Sie überzeugt wären, daß wir uns trennen müssen, würden Sie ins Ausland reisen, ohne mich wiedergesehen zu haben.«
    »Welch ein Gedanke ...!« sagte er vorwurfsvoll, sprach aber nicht weiter. Diese Voraussetzung machte ihn stutzig, denn es wurde ihm plötzlich klar, daß sie recht hatte.
    »Ja,« wiederholte sie, »gestern haben Sie mein ›ich liebe‹ verlangt, heute wollen Sie meine Tränen sehen, und morgen werden Sie vielleicht zu sehen wünschen, wie ich sterbe.«
    »Oljga, wie können Sie mich so kränken! Glauben Sie mir denn nicht, daß ich jetzt das halbe Leben dafür geben würde, um Ihr Lachen zu hören und Ihre Tränen nicht zu sehen ...«
    »Ja, vielleicht jetzt, da Sie schon gesehen haben, wie ein Weib um Sie weint ... Nein,« fügte sie hinzu, »Sie haben kein Herz. Sie sagen, daß Sie meine Tränen nicht wollten; dann hätten Sie aber anders gehandelt ...«
    »Habe ich es denn gewußt?!« rief er mit fragender Stimme aus und legte sich beide Handflächen auf die Brust.
    »Das Herz hat, wenn es liebt, seinen eigenen Verstand,« entgegnete sie, »es weiß, was es will, und weiß im voraus, was sein wird. Ich habe gestern nicht herkommen können; zu uns sind plötzlich Gäste gekommen, aber ich wußte, daß Sie sich in Erwartung abquälen und vielleicht schlecht schlafen würden; ich bin gekommen, weil ich nicht wollte, daß Sie sich quälen ... Und Sie ... Sie belustigt es, wenn ich weine. Schauen Sie, schauen Sie, genießen Sie! ...«
    Sie weinte wieder.
    »Ich habe auch wirklich so schlecht geschlafen, Oljga; ich habe mich in der Nacht abgequält ...«
    »Und es hat Ihnen leid getan, daß ich gut geschlafen und mich nicht gequält habe – nicht wahr? Wenn ich jetzt nicht geweint hätte, würden Sie heute schlecht schlafen.«
    »Was soll ich denn jetzt tun, um Verzeihung bitten?« sagte er mit demütiger Zärtlichkeit.
    »Um Verzeihung bitten Kinder oder Menschen, die in der Volksmenge jemand auf den Fuß treten, hier hilft das aber nicht,« sagte sie, sich wieder mit dem Tuch das Gesicht fächelnd.
    »Wenn es aber wahr ist, Oljga, wenn mein Gedanke richtig ist und Ihre Liebe auf einem Irrtum beruht? Wenn Sie einen anderen lieben und dann bei meinem Anblick erröten werden ...«
    »Und wenn?« fragte sie, ihn so tief ironisch und durchdringend anblickend, daß er verlegen wurde. Sie will etwas aus mir herausbekommen! dachte er, gib acht, Ilja Iljitsch!
    »Wieso ›und wenn‹!« wiederholte er mechanisch, sie unruhig anblickend, und konnte nicht erraten, was für ein Gedanke sich in ihrem Kopf gestaltete und wie sie ihr ›und wenn‹ rechtfertigen würde, da es doch augenscheinlich war, daß diese Liebe, wenn sie auf einem Irrtum beruhte, nicht zu rechtfertigen war.
    Sie blickte ihn so sicher und ruhig an und schien ihren Gedanken so zu beherrschen.
    »Sie fürchten sich,« entgegnete sie spitz, »›in die Tiefe des Abgrundes zu stürzen‹; Sie fürchten die künftige Kränkung, die ich Ihnen, wenn ich Sie zu lieben aufhöre, zufügen werde! ... ›Wie wird es mir dann zumute sein?‹ schreiben Sie ...«
    Er begriff immer noch nicht.
    »Es wird mir ja dann gut gehen,

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