Oblomow
aber aus dem Nebenzimmer zu, ob Sachar das, was der Herr angeordnet hatte, auch erfüllte.
Als Ilja Iljitsch den Lärm hörte, lief er selbst hinaus.
»Was willst du, Katja?«
»Das Fräulein hat zu fragen befohlen, wohin Sie gefahren sind, und Sie sind ja gar nicht weggefahren, Sie sind ja zu Hause! Ich werde es dem Fräulein melden,« sagte sie und wollte fortlaufen.
»Ich bin zu Hause. Der da lügt immer,« sagte Oblomow. »Da, gib dem Fräulein den Brief!«
»Zu Befehl, ich trage ihn hin!«
»Wo ist das Fräulein jetzt?«
»Das Fräulein ist ins Dorf gegangen und hat mir zu übergeben befohlen, Sie möchten gegen zwei Uhr in den Garten kommen, wenn Sie mit dem Buche fertig sind.« Sie ging.
Nein, ich gehe nicht ... wozu soll ich meine Gefühle aufreizen, wenn alles beendet sein muß? ... dachte Oblomow, die Richtung nach dem Dorfe einschlagend.
Er sah aus der Ferne, wie Oljga über den Berg ging, wie Katja sie einholte und ihr den Brief gab; dann sah er, wie Oljga einen Augenblick stehenblieb, den Brief betrachtete, nachsann, dann Katja zunickte und in die Parkallee ging.
Oblomow ging um den Berg herum, trat von der anderen Seite in die Allee, und als er sie bis zu ihrer Mitte durchschritten hatte, setzte er sich ins Gras zwischen das Gebüsch und wartete.
Sie wird hier vorübergehen, dachte er, ich werde unbemerkt beobachten, was mit ihr ist, und entferne mich dann auf immer.
Er erwartete klopfenden Herzens ihre Schritte. Nein, es war still. In der Natur herrschte reges Leben; um ihn herum wurde unsichtbar und unmerklich gearbeitet, während alles in feierlicher Ruhe dazuliegen schien. Unterdessen bewegte sich, kroch und wimmelte alles im Grase. Da laufen Ameisen geschäftig und eilig nach verschiedenen Seiten hin, sie stoßen aufeinander, weichen einander aus, eilen, genau so, wie wenn man von einer Höhe auf irgendeinen Markt der Menschen herabschaut; dieselben Haufen, dasselbe Gedränge, dasselbe Hin- und Herrennen des Volkes. Hier summt eine Hummel über eine Blume und kriecht in ihren Kelch hinein; dort umringt ein Fliegenschwarm einen Tropfen, der aus der Ritze einer Linde hervorgequollen ist; jetzt wiederholt ein Vogel irgendwo vom Dickicht immer denselben Ton, er ruft vielleicht einen andern. Hier eilen zwei Schmetterlinge, nebeneinander wie im Walzer durch die Luft schwirrend, an den Baumstämmen vorbei. Das Gras duftet stark; aus ihm ertönt ein unaufhörliches Zirpen ...
Was hier für ein Trubel ist! dachte Oblomow, der ununterbrochenen Bewegung folgend und den einzelnen Geräuschen der Natur lauschend: und von außen ist alles so still und ruhig! ...
Es waren noch immer keine Schritte zu hören. Endlich, jetzt ... »Ach!« seufzte Oblomow, die Zweige leise auseinanderschiebend. »Sie ist es, sie ... Was ist das? Sie weint! O Gott!«
Oljga ging langsam und wischte sich mit dem Tuch die Tränen ab; aber sowie sie sie getrocknet hatte, erschienen neue. Sie schämte sich, verschluckte sie, wollte sie sogar vor den Bäumen verbergen, es gelang ihr aber nicht. Oblomow hatte Oljga noch nie weinen gesehen; er hatte ihre Tränen nicht erwartet, und sie verbrannten ihn gleichsam, aber so, daß es ihm dabei nicht heiß, sondern warm wurde.
Er folgte ihr schnell.
»Oljga, Oljga!« sagte er zärtlich ihr folgend.
Sie fuhr zusammen, schaute sich um, blickte ihn erstaunt an, wandte sich dann um und ging weiter.
Er schritt neben ihr her.
»Sie weinen!« sagte er.
Ihre Tränen strömten noch heftiger, sie konnte sie nicht mehr zurückhalten, preßte sich das Tuch ans Gesicht, brach in Schluchzen aus und setzte sich auf die Bank, die sie fand.
»Was hab' ich getan!« flüsterte er entsetzt, indem er ihre Hand ergriff und sie vom Gesicht fortreißen wollte.
»Lassen Sie mich,« sagte sie, »gehen Sie! Warum sind Sie hier? Ich weiß, daß ich nicht weinen darf, weswegen denn? Sie haben recht; ja, alles kann vorkommen.«
»Was soll ich denn tun, damit diese Tränen aufhören?« fragte er, vor ihr niederkniend, »sprechen Sie, befehlen Sie, ich bin zu allem bereit ...«
»Sie haben meine Tränen verursacht, und es steht nicht in Ihrer Macht, sie zu stillen ... Sie sind nicht so stark! Lassen Sie mich!« sagte sie, sich mit dem Tuch das Gesicht fächelnd.
Er sah sie an und überschüttete sich im Geiste mit Verwünschungen.
»Der unglückselige Brief!« sprach er voll Reue.
Sie öffnete ihren Arbeitskorb, nahm den Brief heraus und reichte ihn ihm.
»Nehmen Sie,« sagte sie, »und tragen Sie ihn
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