Oblomow
hast auf mich nicht gehört, bist damals böse geworden!«
»Was soll ich denn sehen? Ich sehe nichts, ich sehe nur, daß du ein Feigling bist ... Ich fürchte diese Andeutungen nicht.«
»Ich bin nicht feige, sondern vorsichtig ... Aber gehen wir um Gottes willen von hier fort, Oljga; sieh, da kommt eine Kutsche. Vielleicht sind es Bekannte? Ach, mir bricht der Schweiß aus ... Komm, komm ...« sagte er ängstlich und steckte auch sie mit seiner Furcht an.
»Ja, komm schnell!« sagte sie flüsternd.
Und sie liefen fast durch die Allee bis zum Ende des Gartens, ohne ein Wort zu wechseln. Oblomow blickte unruhig nach allen Seiten, und sie senkte ganz den Kopf und deckte sich mit dem Schleier zu.
»Also morgen!« sagte sie, als sie bei dem Geschäft angelangt waren, in dem der Diener sie erwartete.
»Nein, lieber übermorgen ... oder nein, Freitag oder Samstag«, antwortete er.
»Warum denn?«
»Ja ... siehst du, Oljga ... ich denke immer, daß der Brief kommen wird.«
»Gut, komm aber morgen wenigstens zum Essen, hörst du?«
»Ja, ja, gut, gut!« fügte er eilig hinzu, während sie ins Geschäft trat. »Ach, mein Gott, wie weit es mit uns gekommen ist! Welch ein Stein ist jetzt auf mich herabgestürzt! Was soll ich jetzt tun? Sonitschka, Sachar, die Gecken! ...«
Sechstes Kapitel
Er bemerkte nicht, daß Sachar ihm ein kaltes Mittagessen vorsetzte, wußte nicht, wie er dann ins Bett kam und in einen todähnlichen Schlaf versank. Am nächsten Tage erbebte er beim Gedanken daran, daß er zu Oljga fahren sollte, indem er sich lebhaft vorstellte, wie vielsagend alle ihn anblicken würden. Der Portier empfing ihn auch ohnehin eigentümlich freundlich; Sjemjon stürzte ganz kopflos hinaus, wenn er ein Glas Wasser verlangte; Katja und die Kinderfrau begleiteten ihn mit einem freundschaftlichen Lächeln hinaus. »Der Bräutigam, der Bräutigam!« steht bei ihnen allen auf der Stirne, und er hatte die Einwilligung der Tante noch nicht eingeholt, besaß keine Kopeke Geld und wußte nicht, wann er welches bekommen würde, er wußte nicht einmal, wieviel ihm das Gut in diesem Jahre tragen würde; er hatte kein Haus in seiner Besitzung – ein schöner Bräutigam! Er beschloß, daß er bis zum Eintreffen von genauen Berichten vom Gut Oljga nur am Sonntag in Anwesenheit anderer sehen wollte. Als dann der Tag kam, dachte er gar nicht daran, sich des Morgens zum Besuche bei Oljga vorzubereiten. Er rasierte sich nicht, kleidete sich nicht an, blätterte träge in den französischen Zeitungen herum, die er vorige Woche von Iljinskys mitgenommen hatte, sah nicht unaufhörlich auf die Uhr und furchte nicht die Stirne, wenn der Zeiger sich lange nicht vorwärts bewegte. Sachar und Anissja glaubten, er würde wie gewöhnlich außer Hause speisen, und fragten nicht, was gekocht werden sollte. Er schimpfte auf sie und erklärte, daß er durchaus nicht jeden Mittwoch bei Iljinskys esse, daß es eine »Verleumdung« sei, er hatte bei Iwan Gerassimitsch gespeist, und er würde in Zukunft nur mit Ausnahme von Sonntag, und auch das nicht immer, zu Hause zu Mittag essen. Anissja rannte auf den Markt hin, um für Oblomows Lieblingssuppe Gekröse zu holen. Dann kamen die Kinder der Hausfrau zu ihm; er sah Wanjas Rechenheft durch und fand zwei Fehler. Er liniierte Maschas Heft und schrieb ihr das große A vor, dann hörte er dem Singen der Kanarienvögel zu und sah durch die halboffene Tür zu, wie sich die Ellbogen der Hausfrau bewegten und vorüberhuschten.
Gegen zwei Uhr fragte die Hausfrau durch die Tür, ob er nicht etwas essen wollte: sie hätte Käsekuchen gebacken. Man brachte ihm Käsekuchen und ein Gläschen Johannisbeerschnaps. Ilja Iljitschs Erregung beschwichtigte sich ein wenig, und er verfiel in stumpfes Sinnen, in dem er fast bis zum Essen verblieb. Nach dem Essen, als er vom Schlafe überwältigt auf dem Sofa liegend einzunicken begann, öffnete sich die Tür, die in die Zimmer der Hausfrau führte, und vor ihm erschien Agafja Matwejewna mit zwei Pyramiden von Strümpfen in beiden Händen. Sie legte sie auf zwei Stühle hin, während Oblomow aufsprang und ihr einen dritten anbot, doch sie setzte sich nicht; war es nicht gewohnt; sie war beständig auf den Füßen, von Sorge erfüllt, und befand sich in steter Bewegung.
»Ich habe heute Ihre Strümpfe durchgesehen«, sagte sie. »Es sind fünfundfünfzig Paare, sie sind aber fast alle zerrissen ...«
»Wie gut Sie sind!« sagte Oblomow an sie herantretend und sie
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