Oblomow
Brief von Oljga, in dem sie ihn fragte, was geschehen sei, da er nicht gekommen war. Sie schrieb, sie hätte den ganzen Abend geweint und eine schlaflose Nacht verbracht.
»Dieser Engel weint und schläft nicht!« rief Oblomow aus. »O Gott! warum liebt sie mich? Warum liebe ich sie? Warum sind wir einander begegnet? Das hat Andrej verschuldet; er hat uns beiden die Liebe wie Pocken eingeimpft. Und was ist das für ein Leben! Nichts als Unruhe und Aufregung! Wann wird denn das friedliche Glück und die Ruhe kommen?«
Er legte sich laut seufzend nieder, erhob sich, ging sogar auf die Straße hinaus und suchte immer nach einer Lebensnorm, nach einer Existenz, die Tag für Tag, Tropfen auf Tropfen in der stillen Betrachtung der Natur und in der stillen, langsam einander ablösenden Erscheinung eines friedlichen und geschäftigen Familienlebens dahinflösse und zugleich inhaltsreich wäre. Er wollte sich das Leben nicht als einen breiten, rauschenden Fluß mit wogenden Wellen vorstellen, wie Stolz es tat.
»Das ist eine Krankheit«, sagte Oblomow, »ein Fieber, ein Springen über Sandbänke, wobei die Dämme eingerissen werden und Überschwemmungen drohen!«
Er schrieb Oljga, er hätte sich im Sommergarten ein wenig erkältet, wäre genötigt gewesen, einen heißen Kräutertee zu trinken, und müßte ein paar Tage zu Hause bleiben, jetzt sei aber alles wieder gut, und er hoffe, sie am Sonntag zu sehen. Sie antwortete ihm, lobte ihn, weil er sich gepflegt hatte, riet ihm selbst, am Sonntag zu Hause zu bleiben, wenn es nötig wäre, sie wollte sich eine Woche langweilen, wenn er sich nur schonte. Die Antwort hatte Nikita gebracht, der nach Anissjas Worten am Klatsch die Hauptschuld trug. Er brachte vom Fräulein die Bücher mit dem Auftrage, Oblomow möchte dieselben lesen und Oljga bei der nächsten Begegnung sagen, ob sie selbst sie lesen solle. Sie bat um einen Bericht über seine Gesundheit. Oblomow schrieb die Antwort, übergab diese eigenhändig Nikita, geleitete ihn vom Vorzimmer direkt auf den Hof hinaus und folgte ihm mit den Augen bis zum Tor, damit es ihm nicht einfiel, in die Küche zu gehen und dort die »Verleumdung« zu wiederholen, oder damit Sachar ihn nicht auf die Straße hinausbegleitete. Er freute sich über Oljgas Vorschlag, er möchte sich schonen und am Sonntag nicht kommen, und schrieb ihr, er müsse bis zur endgültigen Genesung wirklich noch ein paar Tage zu Hause sitzen.
Am Sonntag besuchte er die Hausfrau, trank Kaffee, aß eine heiße Piroge und schickte Sachar zu Mittag auf das andere Ufer, um Gefrorenes und Konfekt für die Kinder zu holen.
Man fuhr Sachar mit Mühe über den Fluß zurück; man hatte die Brücken abgerissen, und die Newa begann sich schon mit Eis zu bedecken. Oblomow konnte gar nicht daran denken, am Mittwoch zu Oljga zu fahren. Gewiß, er konnte ja sofort, solange es noch ging, auf das gegenüberliegende Ufer hinüberfahren, sich für ein paar Tage bei Gerassimowitsch einquartieren, jeden Tag bei Oljga sein und sogar dort zu Mittag essen. Er hatte einen plausiblen Vorwand: Die Newa wäre an der einen Seite gefroren, und er hätte nicht Zeit gehabt, zurückzukehren; dieser Gedanke war Oblomows erste Regung, und er ließ seine Füße schnell auf den Fußboden herabgleiten; aber nach einigem Überlegen kehrte er mit besorgtem Gesicht seufzend und langsam wieder auf das Sofa zurück. »Nein, zuerst sollen die Gerüchte verstummen und die fremden Leute, die Oljgas Haus besuchten, ihn ein wenig vergessen und ihn erst dann wieder täglich dort sehen, wenn Oljga und er offiziell als Braut und Bräutigam galten. Es ist langweilig zu warten, aber man kann dagegen nichts tun«, fügte er seufzend hinzu, indem er die von Oljga geschickten Bücher in Angriff nahm. Er las etwa fünfzehn Seiten. Dann kam Mascha ihn fragen, ob er nicht an die Newa gehen wolle. Alle gingen sich ansehen, wie der Fluß gefroren war. Er ging und kam zum Tee zurück. So vergingen die Tage. Ilja Iljitsch langweilte sich, las, ging auf die Straße und schaute durch die Tür zur Hausfrau hinein, um mit ihr vor Langeweile ein paar Worte zu wechseln. Er mahlte ihr einmal drei Pfund Kaffee mit solchem Eifer, daß ihm die Stirn naß wurde. Er versuchte es, ihr ein Buch zu geben. Sie las, langsam die Lippen bewegend, leise den Titel und gab ihm das Buch zurück, indem sie sagte, sie würde es zu den Feiertagen bei ihm abholen und es von Wanja laut vorlesen lassen, dann würde auch die Großmutter zuhören
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