Oblomow
können, jetzt hätte sie aber keine Zeit. Unterdessen hatte man über die Newa Fußstege gelegt, und eines Tages verkündete das Springen des Hundes an der Kette und sein verzweifeltes Bellen wieder Nikitas Erscheinen; er brachte ein Briefchen, in dem Oblomow über seine Gesundheit ausgefragt wurde, und ein Buch. Oblomow fürchtete sich, er würde genötigt sein, gleichfalls über den Fußsteg auf das andere Ufer zu gehen, versteckte sich vor Nikita und schrieb, er hätte eine leichte Halsentzündung, er traue sich noch nicht auszugehen, das grausame Schicksal beraube ihn noch ein paar Tage lang des Glückes, seine teure Oljga zu sehen. Er befahl Sachar eindringlich, sich nicht zu unterstehen, mit Nikita zu plaudern, folgte diesem wieder bis ans Tor mit den Augen und drohte Anissja mit dem Finger, als sie ihre Nase aus der Küche heraus steckte und Nikita etwas fragen wollte.
Siebentes Kapitel
Es verging eine Woche. Oblomow fragte des Morgens beim Aufstehen vor allem, ob die Brücken wieder in Ordnung seien. »Noch nicht«, sagte man ihm, und er verbrachte friedlich den Tag, dem Ticken des Pendels, dem Knarren der Kaffeemühle und dem Singen der Kanarienvögel lauschend. Die Küchlein piepsten nicht mehr, sie waren längst zu gesetzten Hennen geworden und versteckten sich in den Hühnerstall. Er las die Bücher, die Oljga ihm geschickt hatte, nicht zu Ende; er hatte das Buch auf der hundertfünften Seite mit dem Einbande nach oben liegen lassen, und es lag schon seit einigen Tagen so da. Dafür beschäftigte er sich öfters mit den Kindern der Hausfrau. Wanja war ein so verständiger Knabe, er hatte sich nach dreimal die Hauptstädte Europas gemerkt, und Ilja Iljitsch versprach ihm, sowie er ans andere Ufer fahren konnte, einen kleinen Globus zu schenken, und Waschenjka hatte ihm drei Taschentücher gesäumt, sie machte es zwar schlecht, aber sie arbeitete so spaßig mit den kleinen Händchen und lief immer zu ihm, um ihm jeden fertigen Zoll zu zeigen. Er plauderte unaufhörlich mit der Hausfrau, sowie er durch die halboffene Tür ihre Ellbogen erblickte. Er hatte sich schon daran gewöhnt, an der Bewegung der Ellbogen zu er kennen, was die Hausfrau tat, ob sie etwas durchsiebte, mahlte oder bügelte. Er versuchte sogar mit der Großmutter zu sprechen, doch sie konnte die Unterhaltung nie zu Ende führen; sie blieb auf einem halben Wort stehen, stemmte sich mit der Faust gegen die Wand, beugte sich herab und begann zu husten, als erledige sie eine schwere Arbeit, dann stöhnte sie auf, und das Gespräch wurde nicht mehr aufgenommen. Nur der Bruder ließ sich gar nicht blicken, man sah nur das große Paket vor den Fenstern vorüberhuschen, er selbst war aber im Hause gar nicht zu hören. Sogar als Oblomow einmal zufällig ins Zimmer trat, in dem sie dicht zusammengedrängt zu Mittag aßen, wischte der Bruder sich die Lippen schnell mit den Fingern ab und verschwand in seinem Giebelzimmer.
Eines Tages, als Oblomow sorglos erwacht war und den Kaffee zu trinken begann, meldete Sachar plötzlich, die Brücken wären in Ordnung. Oblomows Herz begann zu klopfen. »Und morgen ist Sonntag«, sagte er, »ich muß zu Oljga hinfahren und den ganzen Tag die vielsagenden, neugierigen Blicke der Fremden ertragen«, dann mußte er ihr mitteilen, wann er mit der Tante sprechen wolle, und dabei befand er sich noch immer auf einem Punkt, von wo aus es ihm unmöglich war, sich fortzubewegen. Er stellte sich lebhaft vor, wie er zum Bräutigam ernannt wurde, wie am zweiten und dritten Tage verschiedene Damen und Herren kamen, wie er plötzlich zum Gegenstand der Neugierde wurde, wie ein offizielles Diner stattfand und auf seine Gesundheit getrunken wurde. Dann würde er, wie die Rechte und Pflichten eines Bräutigams es erforderten, der Braut ein Geschenk bringen. »Ein Geschenk«, sagte er entsetzt und lachte bitter auf. »Ein Geschenk!«, und er hatte zweihundert Rubel in der Tasche! Wenn man ihm auch Geld schickte, konnte das erst gegen Weihnachten oder vielleicht noch später geschehen, wenn das Getreide verkauft war, wann das aber zu erwarten war und was für eine Summe man dafür bekommen würde, das alles mußte durch den Brief erklärt werden, der nicht kam. Was sollte er tun? Jetzt würde das ruhige Leben der letzten zwei Wochen aufhören! Und zwischen diesen Sorgen hindurch erschien ihm Oljgas schönes Gesicht, ihre dichten, ausdrucksvollen Brauen, diese klugen graublauen Augen, der ganze Kopf und ihr Zopf, den sie auf eine
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