Obsession
aufzusammeln. Häufig konnte man nur schwer vorhersagen, was ihn durcheinanderbringen
würde, geschweige denn verstehen, warum es so war. Normalerweise war Jacob ruhig |58| und gelassen, doch wenn er Angst bekam oder sich gestört fühlte, konnte es lange dauern, bis man ihn wieder beruhigt hatte.
Einmal, als Sarah ihn irrigerweise zur Geburtstagsfeier eines anderen Jungen mitgenommen hatte, war er hysterisch geworden,
als hinter ihm ein Luftballon geplatzt war. Er war hin- und hergeschaukelt und hatte mit auf den Ohren gepressten Händen so
heftig geschrien, dass auch alle anderen Kinder zu weinen begonnen hatten. Das war das letzte Mal gewesen, dass sie ihn zu
einer Feier mitgenommen hatte.
Ben verdrängte die Gedanken an Sarah. Jacob hatte sich frustriert in einen Sessel fallen lassen. Ben ging hinüber und hob
die heruntergefallenen Puzzleteile auf. Als er sie zurück auf den Tisch legte, beruhigte sich Jacob und stapelte sie wieder
auf, als wäre nichts geschehen. Während er sich über das Puzzle beugte, starrte Ben hinab auf seinen Hinterkopf. Normalerweise
hätte er durch das Haar des Jungen gestrichen oder eine andere, liebevolle Geste gemacht. Dieses Mal berührte er ihn nicht.
Ohne ein Wort ging er zurück an seinen Platz.
Was soll ich nur tun?
Als es an der Tür klingelte, riss Jacob seinen Kopf hoch. Er schaute Richtung Flur. «Mami?»
O Gott.
«Nein, Jacob», sagte Ben. Er fühlte sich elend. «Es ist nicht Mami.»
«Mami.»
Es ist nicht Mami, verdammt!
«Nein, es ist jemand anders .»
Jacob verharrte ein paar Augenblicke und widmete sich dann wieder seinem Puzzle. Als es erneut klingelte, reagierte er nicht.
Und als Ben den Raum verließ, um zur Tür zu gehen, schaute er nicht einmal auf.
|59| Keith stand auf der Vortreppe. Offensichtlich kam er geradewegs von der Arbeit, nur seine leicht gelockerte Krawatte deutete
darauf hin, dass er jetzt offiziell Feierabend hatte. «Tut mir leid, dass ich zu spät komme. Eine Krisensitzung in letzter
Minute.»
Er hielt inne und starrte Ben an. «Was ist mit deinem Haar passiert?»
Ben widerstand dem Impuls, die Stoppeln auf seinem Kopf zu berühren. Auf dem Rückweg von Jessica hatte er bei einem Friseur
haltgemacht. Während der seiner Arbeit nachgegangen war, hatte er daran denken müssen, wie gerne Sarah durch sein Haar gefahren
war. «Ich habe sie abschneiden lassen.»
«Das sehe ich.» Keith sah ihn besorgt an. «Alles in Ordnung mit dir?»
«Ja.» Ben schloss die Tür. «Hat Tessa nichts dagegen, dass du hier vorbeikommst?»
«Nee, sie ist es gewohnt, dass ich spät komme. Solange ich zurück bin, ehe Scott und Andrew ins Bett müssen, ist alles okay.»
Die beiden Söhne von Keith waren älter als Jacob. Wenn sie einmal miteinander ‹spielten›, war es offensichtlich, dass sie
von Tessa die Anweisung erhalten hatten, nett zu sein. Am Ende saß Jacob meistens allein da, während die beiden Brüder taten,
was immer sie wollten.
«Gehen wir in die Küche», sagte Ben, als Keith das Wohnzimmer betreten wollte. Keith machte ein überraschtes Gesicht, entgegnete
aber nichts.
«Ich begrüße nur kurz Jacob.» Er bemühte sich stets, Jacob normal zu behandeln, und auch wenn er sich ein bisschen zu sehr
bemühte, war sein Verhalten immer noch besser als Tessas erzwungen gute Laune.
Hör auf, ungerecht zu sein. Es ist nicht ihr Fehler.
|60| «Hallo, Jake», sagte Keith, als er zum Tisch schlenderte. Jacob schaute nicht von seinem Puzzle auf, aber als Ben sah, wie
er steif wurde, wusste er, was gleich kam.
«Warte», begann er, doch Keith hatte sich bereits vor dem Jungen gebückt. Jacob drückte seinen Kopf auf die Brust und stieß
seine Arme mit einer abwehrenden Geste nach vorn.
«Nein! Neinein!»
Erschrocken wich Keith zurück. «Okay, Jacob, tut mir leid.» Er schaute Ben mit erhobenen Augenbrauen an.
«In den letzten Tagen war er ein bisschen aufgekratzt», erzählte Ben ihm. Jacob saß unbeweglich da, den Kopf gesenkt, die
Arme noch immer ausgestreckt. «Alles in Ordnung, es ist nur Onkel Keith. Stell dich nicht so an, du kennst ihn doch.»
Die Arme blieben abwehrend oben.
«Komm schon, hör auf damit, Jacob!», blaffte Ben.
«Immer mit der Ruhe», sagte Keith geschockt.
Ben riss sich zusammen. Er versuchte, Jacob zu beruhigen, aber es war, als würde man in einem ausgetrockneten Brunnen nach
Wasser graben. Er stand nur da und wusste nicht mehr, was er tun sollte.
Keith schaute besorgt von
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