Obsession
waren oder ihn, schlimmer noch, verwirrten und aufregten. Der Besuch im Schwimmbad war jedoch von Anfang an ein
überraschender Erfolg gewesen. Vor allem hatte Sarah Angst gehabt, dass er nicht verstand, was Wasser bedeutete, und versuchen
würde, mit untergetauchtem Kopf zu atmen oder sich auf eine andere abwegige Art zu ertränken, doch ihre Sorgen erwiesen sich
als grundlos. Jacob planschte genauso begeistert umher wie jedes andere Kind seines Alters, und obwohl er nicht schwimmen
konnte, bestand mit einem Paar Schwimmflügeln keine Gefahr für ihn. In seinen Badesachen sah er aus wie Haut und Knochen,
was den Beschützerinstinkt in Ben wachrief. Er ist genauso mein Kind wie Sarahs, dachte er, und dann: Wir sind eine Familie.
Und jetzt haben wir nur noch uns.
Doch diese Stimmung war zu düster, sie gehörte zur kommenden Woche und nicht zur Gegenwart. Ben verdrängte sie, nahm Jacob
mit auf die ungefährlichste Rutsche und wurde mit einem strahlenden Grinsen belohnt. Nun bestand das Problem darin, ihn zum
Aufhören zu bewegen, solange ihre Haut sich noch nicht vollständig aufgelöst hatte.
Zum Mittagessen gingen sie in den Biergarten eines Pubs, und als Ben zuschaute, wie Jacob sorgfältig seine Papierserviette
in Streifen riss, kam ihm der Gedanke, dass der Junge durch seine Eigenart wenigstens gleichgültig gegenüber den Reizen von
McDonald’s war. Alles hatte auch eine gute Seite, dachte er sarkastisch.
Jacob begann zu gähnen, noch ehe sie nach Hause zurückgekehrt waren. Ben wusste, dass er früh zu Bett würde gehen |94| wollen, doch als es Zeit für das Bad wurde, gab es einen kurzen Aufstand: Jacob weigerte sich, in die Wanne zu steigen. «Orange,
orange», wiederholte er ständig und wollte weder von der schnell herbeigeholten Frucht noch vom Saft etwas wissen. Es dauerte
eine Weile, bis Ben klar wurde, was der Junge meinte. Mit angelegten Schwimmflügeln kletterte Jacob schließlich glücklich
in die Badewanne und ließ sich waschen.
Ben hatte sich davor gefürchtet, erneut einen Samstagabend allein zu verbringen und sich mit nichts von der kalten Wahrheit
ablenken zu können, dass Sarah nicht mehr an seiner Seite war. Doch die gedämpfte Ruhe, die ihn den ganzen Tag umgeben hatte,
verließ ihn auch jetzt nicht. Die Traurigkeit war zwar nicht verschwunden, aber mit Hilfe einer Flasche Wein und einer gelegentlichen
Zigarette überstand er die Stunden, bis er schließlich bei einem Horrorfilm im Spätprogramm auf dem Sofa wegzudösen begann
und sich ins Bett schleppte.
Tessa hatte sauer und überrascht reagiert, als er die Einladung zum Mittagessen am Sonntag abgesagt hatte. Er hatte lieber
mit Jacob zum Fluss in der Nähe von Henley fahren wollen. Es war Sarahs liebster Picknickplatz gewesen, und deshalb hatte
er kurz überlegt, ob es eine gute Idee sei, ihn jetzt zu besuchen. Doch irgendwie zog es ihn dorthin. Mit Jacobs kleiner,
warmer Hand in seiner spazierten sie am Ufer entlang. Der Junge sang ein unmelodisches Lied, ein Zeichen dafür, dass er Spaß
hatte. Als sie sich der vertrauten Stelle unter den Weiden näherten, deren Geäst über das Wasser hing, wurde er still. Mit
großen und traurigen Augen betrachtete Jacob die beiden Gruppen, die dort bereits ein Picknick machten, und als er sich umschaute,
als würde er noch jemanden erwarten, schnürte sich Bens Kehle zu.
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Wir hätten nicht herkommen dürfen.
Aber die Stille des Jungen war nicht von langer Dauer. Nachdem Ben eine Decke ausgebreitet hatte, summte Jacob schon wieder
leise vor sich hin und zupfte Grashalme aus dem Boden, die er in einer Reihe auf seinem nackten Bein anordnete. Ben hatte
hartgekochte Eier eingepackt und Sandwiches, die in dünne Streifen geschnitten waren, so wie Jacob es mochte. Nach dem Essen
holte er einen Fußball hervor, doch Jacob hatte keine Lust. Manchmal spielte er damit, dann wieder nicht. Jetzt war er mehr
an den kleinen Wellen interessiert, die seine Hand im langsam fließenden Wasser erzeugte. Ben beobachtete, wie er seinen Kopf
neigte, um das von den Wellen reflektierte Licht zu erhaschen, und nahm leise seine Nikon aus der Tasche.
Bewahre schon mal vorsorglich deine Erinnerungen.
Der Gedanke kam ohne Vorwarnung. Er senkte die Kamera und spürte, wie sich das innere Gleichgewicht, das ihn bislang während
des Wochenendes gestützt hatte, aufzulösen begann. Aber die Bewegung zog Jacobs Aufmerksamkeit an. Er rollte sich auf den
Rücken
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