Obsession
Tür.
Ihm war klar, dass die beiden ihn beobachteten, während er wartete. Das Kratzen des Besens untermalte die Stille. Er wünschte,
dass endlich jemand die Tür öffnete. Dann zählte er bis zehn und klopfte noch einmal lauter.
Die Tür ging auf. Sandra Cole betrachtete ihn schlecht gelaunt. Ihre Augen waren geschwollen, und ihr gebleichtes |158| Haar war zerwühlt und ungekämmt. Sie trug einen rosaroten Bademantel, der bis auf die Schenkel reichte und eine Wäsche benötigt
hätte. Sie verströmte einen sauren, warmen Bettgeruch.
Ben wartete auf eine Reaktion von ihr. Da sie stumm blieb, sagte er: «Ich bin wegen Jacob hier.»
Sie verschränkte die Arme unter ihren Brüsten, wodurch sie nach oben gegen den Frotteebademantel gehoben wurden. «Er ist nicht
hier.»
Komischerweise hielt sich seine Verärgerung in Grenzen. Irgendwie hatte er damit gerechnet. «Aber ich wollte ihn abholen.
Heute ist mein Besuchstag.»
Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. Durch die Bewegung öffnete sich der Bademantel ein wenig und gab ein Stück Ausschnitt
frei, wo ihre Brüste von den Armen zusammengepresst wurden. Ungeschminkt sah ihr Gesicht jünger und weniger hart, allerdings
kein Stück freundlicher aus. «So ein Pech. Aber wie gesagt, er ist nicht hier.»
Sie wollte die Tür schließen. Ben legte eine Hand auf die Klinke, um sie daran zu hindern. Im Flur hinter ihr konnte er Bratenfett
und kalten Rauch riechen. «Und wo ist er?»
«Mit seinem Vater unterwegs.»
«Wann kommt er zurück?»
«Keine Ahnung.»
«Kann ich warten?»
«Ist mir egal, was Sie machen», sagte sie und knallte die Tür zu.
Ein Stück der hart gewordenen Farbe löste sich und sprang ihm wie ein kleiner Granatsplitter ins Gesicht. Er hörte, wie die
Frau mit dem Besen auf dem Nachbargrundstück kicherte. Sein Gesicht brannte. Er hämmerte mit der Faust gegen die Tür. Die
scharfkantige Farbe zerbröckelte |159| und grub sich in seine Haut, ehe sie abblätterte. Er hämmerte weiter.
Die Tür wurde aufgerissen. Sandra Cole starrte ihn wütend an. «Er ist nicht hier! Und jetzt verpissen Sie sich!»
«Erst wenn ich ihn gesehen habe.»
«Sind Sie taub, oder was? Ich habe doch gesagt ...»
Die Tür wurde ihr aus der Hand gezogen. Ben zuckte instinktiv zurück, als Cole neben ihr auftauchte. Abgesehen von einer knappen
schwarzen Unterhose war er nackt. Seine Frau wirkte erschrocken und trat dann unterwürfig zur Seite.
Offenbar hatte er gerade trainiert. Sein ganzer Körper war so verschwitzt und errötet, als hätte er sich verbrüht. An seinem
Körper war kein Gramm Fett zu sehen. Jeder Muskel war klar definiert, und zwar nicht übertrieben wie bei einem Bodybuilder,
sondern in einer rein funktionalen Natürlichkeit. Automatisch zog Ben seinen Bauch ein.
«Ich möchte Jacob abholen», sagte er. Cole atmete tief und gleichmäßig, antwortete aber nicht. Ben fuhr fort: «Heute ist mein
Besuchstag. Wir haben jeden vierten Sonntag vereinbart. Das ist heute.»
Schweißperlen tropften Cole von der Stirn, aber er kümmerte sich nicht darum. Ben schaute an ihm vorbei in den Flur. Von Jacob
war nichts zu sehen.
«Sie haben hier nichts zu suchen», sagte Cole bestimmt.
Ben sah ihn an. «Wo ist Jacob?»
«Ich sagte, Sie haben hier nichts zu suchen.»
«Ich werde erst gehen, wenn ich ihn wenigstens gesehen habe.» Er wich Coles starrem Blick nicht aus. Es war, als würde er
sich gegen den Wind stemmen.
Cole machte eine kaum spürbare Kopfbewegung zu seiner Frau. «Hol ihn.»
|160| «John ...»
«Hol ihn.»
Einen Augenblick war ihr noch eine Unsicherheit anzusehen, dann setzte sie eine verärgerte Miene auf und verschwand im Haus.
Cole blieb, wo er war. Ben betrachtete den leeren Flur, froh, seinen Blick einen Moment von Cole abwenden zu können. Er hatte
die Augen des Mannes immer für ausdruckslos gehalten, aber das stimmte nicht. Sein Blick war deshalb so beunruhigend, weil
dahinter eine Persönlichkeit zum Vorschein kam, die sich wie sein Körper alles Unwesentlichen entledigt hatte. Es war, als
würde man in die Sonne schauen.
Sandra Cole kam in den Flur zurück. Sie hatte Jacob an der Hand. Ben konnte sehen, dass er nicht mit ihr gehen wollte. Er
hockte sich vor dem Jungen hin.
«Jacob? Ich bin’s. Ben.»
Jacob hielt seinen Kopf gesenkt, doch Ben meinte, dass er ihn erkannt hatte. Immerhin schien er gesund zu sein. Er trug ein T-Shirt und eine kurze Hose, beides zwar nicht völlig
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