Obsession
Hochkonjunktur seiner Arbeit geführt. Bei den ersten Anrufen dachte er noch, es wäre ein Zeichen
der Unterstützung von Redakteuren und Designern, die er seit Jahren kannte. Erst später merkte er, wie sein Name plötzlich
einen Ruf erhielt, der nichts mit seiner Fotografie zu tun hatte. Eine Redakteurin veröffentlichte völlig ohne Zusammenhang
eine Reihe von Modefotos, die Ben Monate zuvor aufgenommen hatte, allein aus dem Grund, seine traurige Berühmtheit auszuschlachten.
Als er davon erfahren hatte, hatte er sie wütend angerufen und ihr plastisch geschildert, was er von ihrem Verhalten hielt,
mit der Folge, dass er einen Namen von seiner Weihnachtskartenliste streichen konnte.
Aber es gab genügend andere Aufträge. Nachdem seine anfängliche Empörung abgeflaut war, erstickte er die selbstzerstörerische
Stimme, die alle am liebsten zum Teufel geschickt hätte, und nahm an, was er konnte. Schließlich bedeutete es Arbeit, und
alles, was ihn im Atelier beschäftigte und von der kalten Unterkunft fernhielt, die er einmal für sein Zuhause gehalten hatte,
war willkommen.
Er tröstete sich damit, dass er seine Honorare erhöhte.
Dadurch konnte er Zoe mehr bezahlen und ein wenig sein schlechtes Gewissen beruhigen, das ihn seit ihrer gemeinsam durchzechten
Nacht quälte. Am darauffolgenden Samstag war er voller Scham und mit einem schweren Kater erwacht. Er hatte sich über die
Toilette gebeugt und sich erbrochen, bis er nur noch trocken aufstoßen musste und der süße Gestank seine Nase verstopfte.
Selbst danach hatte er noch eine Weile warten müssen, bis das Hämmern in seinem Kopf so weit abgeklungen war, dass er sich
geschwächt aufrichten konnte. Nachdem er sich den Mund ausgespült und kaltes Wasser ins Gesicht und auf den Nacken gespritzt |151| hatte, fühlte er sich zwar sauberer, aber kein bisschen besser. Er hatte die Arme auf das Waschbecken gestützt und sein taubes
Gesicht im Spiegel betrachtet. Es war aufgedunsen und farblos, nur seine Lippen waren unnatürlich rot. Unter den Augen waren
Falten, die er noch nie bemerkt hatte. Als er sein Spiegelbild so sah, überkam ihn ein Anflug von Selbsthass. Einen Monat
zuvor war er dreiunddreißig geworden. In dem Alter hatte Jesus die Welt verändert und war gekreuzigt worden. Ben schätzte
seine Chancen, eine Religion zu gründen, nicht hoch ein, aber so wie sich die Dinge in letzter Zeit entwickelt hatten, kam
ihm eine Kreuzigung nicht abwegig vor.
Er hatte dann ein großes Glas Wasser und eine Packung Paracetamol genommen und war zurück ins Bett gegangen.
Die Aussicht, sich am Telefon bei Zoe entschuldigen zu müssen, schüchterte ihn so sehr ein, dass er bis Montagmorgen gewartet
hatte. Er war sich nicht sicher gewesen, ob sie im Atelier auftauchen würde, doch sie war gekommen, nicht später als üblich,
aber ungewöhnlich niedergeschlagen. Eine Weile waren sie betreten aneinander vorbeigeschlichen, bis es Ben nicht mehr ausgehalten
hatte. «Hör zu, es tut mir leid, dass ich einfach so abgehauen bin.»
Sie blieb stehen, ohne sich zu ihm umzudrehen. «Schon gut.»
«Es war einfach noch zu früh.» Die abgedroschene Phrase ließ ihn zusammenzucken. Zoe hatte sich umgewandt, ihn aber nicht
angesehen und nur zustimmend den Kopf gesenkt.
«Ja. War eine völlig bescheuerte Idee.»
Es entstand eine Pause, in der beide auf andere Dinge starrten. «Glaubst du, wir können weiter zusammenarbeiten?», fragte
Ben.
|152| Sie rührte sich nicht. «Willst du, dass ich gehe?»
«Nein, natürlich nicht. Ich dachte nur, vielleicht willst du gehen.»
«Nein. Es sei denn, du willst es.»
«Will ich nicht.»
Zoe nickte. Sie steckte die Hände in die Tasche und zog sie wieder heraus. Ben nahm eine Kamera und untersuchte sie.
«Und wie hast du dich Samstagmorgen gefühlt?», fragte er.
Sie verzog das Gesicht. «Wie tot.»
Sie hatten sich angegrinst, und obwohl eine gewisse Verlegenheit zurückblieb, war die Sache wenigstens vom Tisch. Als er später
hörte, wie sie am Telefon jemanden zusammenstauchte, wusste er, dass alles wieder beim Alten war.
Allerdings nicht ganz. Einmal, als Zoe sich hinhockte, um einem Model den Saum des Kleides zu richten, kam Ben wieder das
Bild in den Sinn, wie sie vor ihm gekniet hatte. Er hatte schnell weggeschaut, aber die Erinnerung rief noch etwas anderes
wach, das an seinem Unterbewusstsein nagte. Widerstrebend gestand er es sich ein.
Er konnte sich nicht erinnern, eine
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