Obsession
Hand müde vor
die Augen. Im Gesicht blieb ein Blutfleck zurück. Ermattet zog sie noch einmal an der Zigarette, die sie die ganze Zeit zwischen
den Lippen gehabt hatte.
Dann schnippte sie die Kippe funkensprühend davon, drehte sich um und ging zurück ins Haus.
Im roten Licht der Dunkelkammer hingen unzählige feuchte, großformatige Abzüge wie surrealistische Wäschestücke von der Trockenleine.
Da seine Dunkelkammer zu Hause nicht so gut klimatisiert war wie die im Atelier, konnte er die beißenden Entwicklerchemikalien
tief in der Kehle schmecken. Ben hängte den letzten Abzug auf und schaltete den Ventilator eine Stufe höher, während er die
Bilder betrachtete. Er war erfreut, wie gut das neue Objektiv mit seiner Nikon funktionierte. Die Aufnahmen vom Schlafzimmer
waren zwar körnig, aber damit hatte er gerechnet. Selbst mit dem Filter konnte man keine hohe Auflösung erwarten, wenn man
vom Hellen durch eine Glasscheibe ins Dunkle fotografierte.
Aber die Aufnahmen genügten seinen Ansprüchen.
Er betrachtete einen der trockenen Abzüge. Sandra Cole |233| saß auf der Bettkante und beugte sich über den Schritt des Mannes. Sowohl sie als auch das Schlafzimmer waren eindeutig zu
erkennen. Ben schaute sich einen anderen Abzug an. Darauf war zu sehen, wie der Mann das Geld auf die Frisierkommode legte
und das Portemonnaie gerade wieder in seine Tasche stecken wollte. Die Aufnahme daneben zeigte, wie er das Haus verließ. Auf
diesem Bild waren seine Gesichtszüge wesentlich besser zu erkennen. Ben betrachtete es eine Weile, nahm es dann von der Leine
und ging hinüber zu dem Schrank, in dem er seine Arbeiten aufbewahrte. Er öffnete eine Schublade und blätterte durch das Register,
bis er zu den Fotos kam, die er ein paar Wochen zuvor gemacht hatte, als Sandras Besucher sich davongeschlichen hatte. Ben
verglich sie mit dem noch feuchten Abzug, den er gerade entwickelt hatte, und lachte ungläubig auf. Bisher war er unsicher
gewesen, aber jetzt gab es keinen Zweifel mehr.
Es waren zwei verschiedene Männer.
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|234| Kapitel 14
«Lass dich nicht hetzen, ich stehe hier gerne noch bis morgen rum.»
Ben schaute von dem Reflektor auf, den er gerade abmontierte. Zoe stand mit einem schweren Stativ da und schaute ihn genervt
an. «Was?»
Sie seufzte und verdrehte die Augen. «Ich fragte, ob ich das in den Wagen bringen soll.»
«Ach so. Ja, bitte.»
Zoe rührte sich nicht. «Und kriege ich auch die Wagenschlüssel?», fragte sie, da er offenbar schwer von Begriff war. «Oder
soll ich das Fenster einschlagen?»
Er langte in seine Tasche und gab sie ihr. «Entschuldige. Ich habe nicht mitgedacht.»
«Ach was», brummte sie und ging davon.
Ben rieb seinen Nasenrücken. Er fühlte sich erschlagen und müde. Am vergangenen Tag hatten sie Werbeaufnahmen für eine neue
Jeanskollektion gemacht, deren Slogan «Eine Hose für alle Fälle» lauten sollte. Die Suche nach einem geeigneten Aufnahmeort
hatte bereits kurz nach Sarahs Tod begonnen, und erst neulich hatten sie sich auf eine Kapelle in Sussex aus dem sechzehnten
Jahrhundert einigen können, mit schönen Buntglasfenstern hinter dem Altar. Für die Aufnahmen war eine Hochzeitsszene nachgestellt
worden, |235| bei der jeder feierlich gekleidet war, abgesehen von der Braut, die unter ihrem Schleier weiße Jeans und T-Shirt trug. Die ganze Sache wäre problemlos über die Bühne gegangen, hätte er nicht ein paar notwendige Filter zu Hause vergessen.
Auch das wäre noch kein Beinbruch gewesen, wenn er Zoe hätte losschicken können, aber der Koffer mit den Filtern befand sich
in seiner Dunkelkammer, und in der hingen die Fotos von Sandra Cole. Also musste er selbst fahren und die Models, die Maskenbildner
und einen Art-Director, der zum Herzinfarkt neigte, in der Kapelle warten lassen. Eigentlich kam Ben gut mit ihm aus, aber
als er wieder zurückkehrte, schnaubte der Mann beinahe vor Wut. Und Zoe kochte, weil sie hatte bleiben und ihn ertragen müssen.
Die Aufnahmen hatten sich bis spät in die Nacht hingezogen. Im Stillen hatte Ben drei Kreuze gemacht, dass sie Kunstlicht
benutzten, um die durch die Buntglasfenster scheinende Sonne zu simulieren, und deshalb auch in der Dunkelheit weiterarbeiten
konnten. Danach waren er und Zoe geblieben, um aufzuräumen und zusammenzupacken, doch als Zoe gerade noch im letzten Moment
die Kamera hatte auffangen können, die er beinahe mitsamt Stativ umgerissen
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