Occupy Economics
braucht keinen Metzger in der Nähe, wer OBI, Praktiker und Hornbach in der Nähe hat, braucht nur selten Handwerker, wer einen Computer mit Internet-Anschluss hat, braucht keine Post und keine Sekretärin, nicht einmal mehr ein Büro. Und wer ein 32-Gigabyte-Smartphone in der Tasche hat, kann damit zum Mond fliegen – übertrieben ausgedrückt. Die Dinge, die die Amerikaner »durable goods« nennen, also »haltbare Güter«, sind Kapital in den Händen des Verbrauchers, der hier aber kein Verbraucher ist, sondern eigentlich Produzent oder Privat-Kapitalist.
Wenn man also genau hinsieht, sind wir nicht auf dem Weg in eine Dienstleistungsgesellschaft, sondern mit privatem Haushalts-Kapital auf dem Weg aus der Dienstleistungsgesellschaft heraus! Wir verzichten zunehmend auf die Dienste anderer, indem wir angespartes oder geliehenes (oder geleastes) Kapital einsetzen. Das breit gestreute, private Kapital macht dem gewerblichen Kapital Konkurrenz. Der Wettbewerb ist mörderisch. Viele Hunde sind des Hasen Tod, sagt ein Sprichwort, das hierauf passt.
Dazu ein paar Beispiele zur Veranschaulichung: Es gab einmal Zeiten, da war ein Taxibetrieb ein lukratives Geschäft. Der heutige Taxifahrer sieht sich auf der Straße permanent von Wettbewerbern umgeben, von allen anderen privaten Autos.
Es gab einmal Zeiten, da waren gute Fotografen gut verdienende, kreative Spezialisten. Der heutige Fotograf wird von den Zigmillionen kostenlosen Handy-Fotografen verdrängt. Die einzigartige Kreativität kann der privat-kreativen Meute nichts entgegensetzen.
Es gab einmal Zeiten, da hatte jeder Unternehmensberater ein Büro. Heute reichen ihm eine Kreditkarte für Flüge, Hotels und Mietwagen, ein Smartphone, ein Laptop und die Adresse eines Standorts, wo er selten und nur wenn erforderlich, ein Büro oder einen Konferenzraum in Anspruch nehmen kann.
Es gab einmal Zeiten, da ging man in die Buchhandlung, ließ sich ein Buch empfehlen und kaufte oder bestellte es. Heute findet man jedes Buch bei Amazon. Die Empfehlung weiterführender Lektüre erfolgt elektronisch auf dem Bildschirm. Das Buch wird per UPS oder DHL angeliefert. Der ungelernte Turnschuhdienst ersetzt die hochwertige Beratung durch den Buchhändler.
Es gab einmal Zeiten, da ging man in eine Bank, um am Schalter Geld abzuholen. Heute geht man irgendwo zum Bargeld-Terminal, der die Scheine ausspuckt. Vom Online-Banking für Überweisungen oder der Depot-Verwaltung ganz zu schweigen.
Es gab einmal Zeiten, da ging man »ins Büro«. Das ist auch heute noch vielfach so, aber der Vertriebsleiter »Automotive« eines global agierenden IT-Konzerns, dessen Kunden über die Kontinente verstreut sind, hat kein eigenes Büro mehr in der Konzernzentrale, er ist Mitglied eines Pools, aus dem er bedient wird, wenn er die »Mutter« besucht. Seine Dauer-Adresse ist seine E-Mail-Adresse, sein Arbeitsplatz für ungestörtes Arbeiten ist zu Hause.
Und auch in Ferienorten lässt sich der Trend beobachten: Der Dauerbesucher eines Hotels entdeckt irgendwann die Bautafel für Ferienwohnungen. Ein paar Saisons später trifft man die alten Bekannten nicht mehr in der Hotelhalle wieder, sondern beim Einkaufen im Supermarkt. Das Dienstleistungsangebot der Hotels wird – zu deren Missfallen – durch »durable goods« ersetzt. Der Gemeinderat steht immer wieder vor der Frage: Soll ich die Arbeitsplätze im Hotelbereich schützen oder die meiner Bauhandwerker und Installateure?
Heute ist es immer noch so, dass man in eine Apotheke kommt, dort von einem freundlichen und adretten Mitarbeiter kompetent beraten wird und sich nicht selten auf den guten Rat verlässt. Die Apotheken sind eine Ausnahmeerscheinung, weil es dort noch die Preisbindung von Medikamenten gibt, die ausreichend Margen ermöglichen, um Mitarbeiter (Pharmazeuten) für den Verkaufsraum zu bezahlen. DocMorris, der Internet-Lieferant für Medikamente, kann die Beratung nicht liefern und ist deshalb in seinem Expansionsdrang erst einmal gebremst.
Jean Fourastiés Prognose der Entwicklung kann heute berichtigt werden: Die Menschen lebten in der Agrargesellschaft in kleinen Einheiten mit interner Arbeitsteilung. Die Industriegesellschaft realisierte in ungeahntem Ausmaß die externe Arbeitsteilung, spannte die Menschen in bezahlte Dienstleitungen für Dritte ein. Die Industriegesellschaft ist/war die Dienstleistungsgesellschaft, in der die Dienste Dritter in Anspruch genommen werden/wurden, egal ob Liftboy oder Universitätsprofessor.
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