Occupy Economics
den Einsatz von Kriegsgefangenen und KZ-Inhaftierten heranziehen. Ohne zynisch sein zu wollen: Wo und wie soll es hier irgendwann und irgendwie auch nur ansatzweise ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht gegeben haben beziehungsweise einen Punkt, den man als solchen näherungsweise hätte bezeichnen können? Wenn man die Entwicklung richtig interpretiert, hat eine Diktatur, die sich auf betrügerische Weise Geld beschaffte, dieses Geld in die Wirtschaft gepumpt und damit die Menschen nicht nur von der Straße geholt, sondern außerdem ein gigantisches Produktionspotenzial geschaffen und genutzt.
Diese Wirtschaft hat zwar mit Mitteln der Marktwirtschaft funktioniert, aber die Marktwirtschaft war nicht der Kern ihrer Existenz. Der Kern lag außerhalb der Märkte, er lag im Bereich des Privaten und des Betriebswirtschaftlichen und des Haushaltswirtschaftlichen, des Kapitals, auch des wirtschaftlichen Staatshaushalts, letztlich also im Bereich der Privatsphäre, wobei man auch dem Staat und seinen Institutionen eine Privatsphäre zubilligen muss. Niemand darf ungefragt militärisches Gelände betreten. Auch auf Polizeigelände haben Fremde keinen Zutritt. Die staatliche Organisation im Zusammenspiel mit der Wirtschaft (der viel geschmähte Korporatismus), den Unternehmen und den wirtschaftlichen Organisationen (Verbänden) schuf die wirtschaftliche Explosion von Produktion und Expansion, unterstützt durch eine hörige, expansive Finanzwirtschaft. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, basierend auf gepumptem Geld, hatte das gesamtwirtschaftliche Angebot erzeugt. Wirtschaftliches Wachstum fast ohne Ende, beziehungsweise ist das Ende bekannt. Der wirtschaftliche Neuanfang begann mit einer Entschuldung des Staates, also einer Währungsreform. Die Reichsmark wurde im Jahr 1948 durch die D-Mark ersetzt.
Das Beispiel zeigt erneut, dass die Märkte makroökonomisch eine untergeordnete Rolle spielen. Ihre Aufgabe, die Tauschaufgabe, ist funktionaler Natur. Das Leben findet außerhalb statt. Der Tausch, das Do-ut-des des Marktes, spielt außerhalb der Märkte kaum eine Rolle. In der Privatsphäre ist das wichtigste Phänomen die Solidarität, die Zusammenarbeit, das Zusammenwirken, in gewissem Umfang auch die Selbstlosigkeit. In der Privatsphäre gelten die Regeln des Kommunismus, der Kommandowirtschaft, wenn man so will, der Planerfüllung, der betrieblichen beziehungsweise betriebswirtschaftlichen, organisatorischen Planerfüllung, auch wenn das unter unseren zivilisierten Verhältnissen nicht mehr militärisch kommandohaft abläuft. Aber Organisationen sind hierarchisch aufgebaut, das Weisungsrecht des Arbeitgebers ist dessen wesentlicher Bestandteil.
Bofinger sieht in den Alternativen »Markt« und »Hierarchie« zwei Lösungsansätze für wirtschaftliche Betätigung, also eine Art Wahlrecht zwischen kurzfristigen und langfristigen Verträgen. 26 Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Erkenntnisse der Neuen Institutionen-Ökonomie (Abkürzung: NIE), aber beide verkennen, dass es sich nicht um Alternativen, sondern um unterschiedliche Welten handelt. In der »Hierarchie« geht es um das Funktionieren der Einheiten, um die Produktivität, egal ob es Betriebe sind oder Verwaltungen. Beim »Markt« geht es um den wertäquivalenten Tausch. Die Regeln des Marktes gehören nicht in die Betriebe und Organisationen, die das Hinterland der Märkte bilden. Das Positive an der NIE ist, dass sie sich überhaupt mit den Nicht-Markt-Verhältnissen und ihren Einflüssen befasst, aber einfacher wäre es, wenn man die Erkenntnisse der Organisationslehre und Betriebswirtschaftslehre anwenden würde. Dann käme man auch nicht mehr auf die Idee, überall zu liberalisieren. Denn wer überall liberalisiert, indem er meint, die Gesetze des Marktes anwenden zu müssen oder zu können, der erzeugt in den Haushalten und Betrieben die Kälte des reinen Tauschs, der vernichtet das Wunder der Solidarität und landet im Raubtier-Kapitalismus. Amerika lässt grüßen.
6.4 Ökonomie und Ökologie
Bevor wir fortfahren, darf ich rekapitulieren. Wir haben festgestellt: Der Markt ist der öffentliche Ort der überregionalen Arbeitsteilung. Die Versorgung der Menschen geschieht nicht auf dem Markt, sondern über dem Markt in den Haushalten, aber nicht nur. Die Versorgung erfolgt außerdem aus der Umgebung, aus der Natur, aus der Umwelt (Licht, Luft, Wasser). Der Markt ist ein reiner Tauschort, bei dem rechnerisch identische Werte ausgetauscht werden.
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