Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
dunkel. Auf der Fahrt hierher hatte sich der Himmel mit Regenwolken bedeckt, und das restliche Tageslicht wurde von den dicken Gardinen verschluckt, die vor den hohen Fenstern zugezogen waren. Das einzige Licht stammte von den Kerzenhaltern, die in einer langen Reihe die Treppe säumten. Kaum war ich in den Raum getreten, musste ich nach einem Strampelanzug aus dem Korb greifen und ihn mir auf Mund und Nase pressen, denn die Luft war erstickend. Sie roch nach Salzwasser, Meeralgen und einer unerfreulichen Mischung, die mich an leere Krebsschalen, verrottenden Tintenfisch und gestrandete sterbende Wale erinnerte.
Während die Luft sich erdrückend um mich schloss, sich in meine Kleidung hängte und meine Haut entlangkroch, eilte ich auf die Treppe zu. Der Geruch wurde stärker, je höher ich kam, und oben angelangt, hämmerte der Schmerz in meinem Kopf, und mein Magen drehte sich fast um.
Ich marschierte weiter den Flur entlang und verlangsamte meinen Schritt nicht, bis ich vor Paiges geschlossener Tür stand und von der anderen Seite gedämpfte Laute hörte.
Den Strampelanzug noch immer ans Gesicht gedrückt, stellte ich den Korb auf den Boden und lehnte mich gegen die Tür. Ich hielt den Atem an, als ich lauschte, doch die Geräusche waren mir fremd: wellenförmig auf- und abschwellende,höher und tiefer werdende Klänge, die sich weder wie Musik noch wie eine Sprache anhörten. Sie schienen von verschiedenen Stellen zu kommen.
Ich klopfte vorsichtig gegen die Tür. Als niemand reagierte, öffnete ich sie einen Spalt und lugte hinein.
Auch hier waren die Vorhänge geschlossen, und der Salzgeruch war noch extremer. Die Decken, in die Paige bei meinem letzten Besuch eingehüllt gewesen war, lagen in einem Haufen auf dem Boden. Die seltsamen Klänge kamen aus dem Badezimmer und nahmen an Lautstärke zu.
Ich schlich durch den Raum, wobei ich mich neben der Badezimmertür hielt, damit mich von drinnen niemand sehen konnte. Als ich angekommen war, drückte ich mich bäuchlings an die Wand und reckte den Hals zur Seite, bis ich mit dem linken Auge durch die Türöffnung spähen konnte.
Grauer, salziger Nebel erfüllte das Bad. Dämmrige Lichtwolken umgaben die Kerzen, die überall im Raum aufgestellt waren – auf dem Waschbecken, dem Fußboden, den Glasregalen an der Wand. Eine Ecke des Zimmers, wo sich die Badewanne befand, leuchtete besonders hell, obwohl gerade dort keine Kerzen standen.
Raina und Zara saßen auf dem Rand der Wanne und hatten mir den Rücken zugedreht. Raina hielt eine dünne, elfenbeinweiße Hand in ihrem Schoß umklammert. Die Finger bebten, als würde der zugehörige Körper im Wasser von elektrischen Stößen geschüttelt.
Ich wollte wegschauen, aber konnte es nicht. Mein Blick wanderte von der weißen Hand einen glatten, entblößten Arm entlang bis zu Paiges Gesicht.
Sie lag nackt in der Wanne. Ihr Körper zuckte so heftig, dass ihr Kopf gegen die Kachelwand schlug und Wasser auf die Fliesen spritzte. Seltsame, unmenschliche Geräuschedrangen aus ihrem Mund. Ihr angeschwollener Bauch ragte aus dem Wasser empor, aufgebläht von dem neuen Leben darin.
Trotzdem hatte sie noch nie so schön ausgesehen.
Ihre cremeweiße Haut schimmerte, ihre Wangen waren gerötet, das nasse Haar war rabenschwarz und fiel ihr über die nackten Schultern auf die Brust. Die silberblauen Augen strahlten in einem weißen Licht, starr aufgerissen verbreiteten sie einen unirdischen, kühlen Glanz im Raum. Paige sah sich selbst kaum noch ähnlich – ja, sie wirkte nicht einmal menschlich –, aber ihre Schönheit war so atemberaubend, dass sie all die umgebende Dunkelheit auszulöschen schien.
Ich konnte meinen Blick nicht von ihren strahlenden Augen lösen, die nach oben auf die Decke gerichtet waren. Mein ganzer Körper sehnte sich danach, ihr nahe zu sein, wurde unwiderstehlich angezogen, und ich musste den Türrahmen packen, um dem Drang nicht nachzugeben. Schmerz pulste in meinem Kopf, aber ich merkte es kaum.
Die Trance wurde unterbrochen, als das Handy in meiner Jeanstasche vibrierte. Ich warf einen letzten Blick auf Paige, und während ich von der Tür zurückwich, kam es mir vor, als hätte ich sie bisher nie wirklich gesehen.
Im Flur angekommen, schnappte ich mir den Wäschekorb und las Simons SMS, während ich zur Treppe lief: C hatte recht. Das Festival ist eine Falle. Z hat alles aufgeschrieben. Ruf mich an, sobald du kannst .
Ich klickte die SMS weg und war hin- und hergerissen zwischen dem
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