Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
hervorzurufen.«
»Am Ende hat Betty es aber doch herausgefunden, oder?«, fragte ich. »Dass Sie für sie schwärmten?«
»Um das nicht zu merken, hätte sie schon aus der Stadt wegziehen müssen. Zu meinem Glück war ihr das Restaurant so wichtig, dass sie blieb, obwohl sie sonst vielleicht vor meinen Avancen geflohen wäre Außerdem machte das Restaurant es mir einfach, sie zu finden. Ich begann, jeden Tag in meiner Mittagspause dort hinzugehen, und hoffte auf eine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Wenn wenig Gäste da waren, setzte Betty sich tatsächlich manchmal zu mir. Leider sprach dabei eigentlich nur ich – sobald ich ihr eine Frage stellte, die nicht das Restaurant betraf, wechselte sie das Thema. Aber sie liebte es, Geschichten über Winter Harbor zu hören, und bezeichnete den Ort als die Heimat, nach der sie sich immer gesehnt hatte. Also erzählte ich ihr alles, was ich darüber wusste, weil es sie glücklich machte. Als mir das Material ausging, suchte ich nach mehr.«
»Haben Sie deshalb keinen der mysteriösen Todesfälle in ihrer Stadtchronik erwähnt?«, wollte ich wissen und hielt ihm den Zettel entgegen, auf dem er vom Licht geschrieben hatte, das die Dunkelheit besiegt. »Weil Sie nur Geschichten wollten, die Betty glücklich machten?«
Oliver starrte den Zettel an und ließ eine Hand auf dem Buchrücken ruhen. Eine Antwort gab er mir nicht. »Nach ein paar Monaten stimmte Betty endlich zu, mit mir auf ein richtiges Date zu gehen. Da war es schon fast Winter, und die Seen waren zugefroren. Wir liefen Schlittschuh auf dem Lake Kantaka, und hinterher kochte ich ihr ein Abendessen.« Er machte eine gedankenvolle Pause. »In dieser Nacht hat sie das erste Mal über sich selbst gesprochen. Sie hat mir Dinge über ihr Leben erzählt, die sie vorher noch nie jemandem anvertraut hatte, wie sie sagte …«
»Was denn?«, fragte ich. Mein Puls erhöhte sich.
»Betty sagte, sie sei von ihrer Mutter und ihren Tanten in einem ›unkonventionellen‹ Haushalt aufgezogen wordenund heimlich fortgegangen. Sie habe niemandem ein Ziel genannt oder eine Erklärung gegeben, weil sie mit der Lebensweise ihrer Familie nicht einverstanden war und fürchtete, man könne sie sonst suchen und zur Rückkehr zwingen.« Er schaute auf das Feuer, als müsse er erst über die nächsten Worte nachdenken. »Mit Tränen in den Augen erklärte sie mir, dass sie nicht nur deshalb so viel Zeit im Meer verbrachte, weil es ihr gefiel, sondern weil sie das Schwimmen brauchte. Sie war körperlich davon abhängig, sich mehrmals am Tag ins Salzwasser zu begeben.«
Ich warf einen Blick auf Simon, ohne den Kopf zu wenden. Er betrachtete Oliver fasziniert.
»Betty hat gesagt, anderenfalls … wenn sie zu lange dem Meer fernbliebe, wäre sie nicht mehr fähig zu atmen.«
»Warum?«, fragte Simon nach einer Pause.
»Das wollte sie mir nicht erklären. Außerdem veränderte sich ihr Verhalten, nachdem sie mir so viel verraten hatte – sie wurde distanziert, noch vorsichtiger und zurückhaltender als zuvor. Als Erklärung sagte sie, das Gespräch sei ihr im Nachhinein peinlich. Aber ich wusste, dass mehr dahintersteckte. Sie hatte Angst.«
Das Gewitter war inzwischen näher gekommen; der Boden bebte von den Blitzeinschlägen und brachte mein Sofa zum Erzittern.
»Ich fuhr damit fort, sie jeden Tag zu besuchen und ihr Geschichten über Winter Harbor zu erzählen. Wenigstens konnte ich sie so von ihren Ängsten ablenken. Ihr Vertrauen in mich wuchs, und sie schien zu vergessen, wie sie zurückgeschreckt war, nachdem sie mir Einblick auf ihr Privatleben erlaubt hatte. Nach zwei Jahren, als alles beinahe wieder normal schien, hielt ich um ihre Hand an.«
Er senkte den Blick, und ich fühlte einen mitleidigen Stich im Herzen.
»Sie antwortete, wir könnten nicht auf diese Weise zusammen sein … dass sie mich zu sehr lieben würde, um mich in Gefahr zu bringen.« Das Buch zitterte, als er es mit beiden Händen umklammerte. »Um sie zu überzeugen, dass alles ein gutes Ende nehmen würde, schrieb ich die Geschichte von Winter Harbor für sie auf. Ich wollte Betty wissen lassen, dass ich immer für sie da sein würde, um mit ihr zu reden und ihre Ängste zu zerstreuen, wenn sie das brauchte. Aber sie änderte ihre Meinung nie.«
Simon legte mir die Hand auf den Rücken, und meine Lider schlossen sich flatternd.
»Doch das war noch nicht das Schlimmste.« Olivers Stimme war leiser geworden. »Sie hatte zwar gesagt, dass wir nicht
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