Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
»Das eben war Raina Marchand.«
Nichts.
»Mom«, versuchte ich es noch einmal und deckte den Zettel mit der Hand zu, so dass sie Justines Worte nicht sehen konnte.
Sie hob den Blick.
»Raina Marchand«, wiederholte ich. »Die Mutter von Paige und Zara, die Tochter von Betty. Ich spreche von der Betty, die vor fünfzig Jahren dieses Restaurant gegründet hat.«
»Und?«
»Kennst du sie nicht?« Ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen, als ich auf ihre Antwort wartete.
»Tut mir leid, Vanessa«, sagte sie schließlich mit müder Stimme. »Ich habe diese Frau noch nie im Leben gesehen.«
K APITEL 20
S ie will zur Versammlung der Handelskammer?«, fragte Caleb später am selben Abend.
Ich las das Schild, das an der Eingangstür des Highschool-Gebäudes baumelte, und schaute mich um. Der Parkplatz stand voller Wagen.
»Wer hätte gedacht, dass Raina so engagiert ist?«, meinte Simon.
»Ist sie nicht«, sagte Caleb. »Monty hat mir erzählt, dass Betty vor ihrem Unfall keine einzige Sitzung ausgelassen hat. Als sie dann das Haus nicht mehr verlassen konnte, dachten alle, Raina würde ihren Platz einnehmen. Aber sie ist nie gekommen.«
»Vielleicht will sie nur den Schein wahren«, gab ich zu bedenken. »Um unerwünschte Aufmerksamkeit abzulenken.«
»Oder vielleicht sucht sie die Stadt nach einem nächsten Opfer ab.« Bei Simons Blick zuckte Caleb nur mit den Schultern. »Das war ein Scherz. Na ja, hoffentlich.«
Ich drückte den Türgriff nach unten. Simon hielt mich auf, indem er eine Hand auf meine Knie legte. »Solche Versammlungen können Stunden dauern«, sagte er. »Warum fahren wir nicht erst nach Hause und machen mit unseren Recherchen weiter? Wir können später zurückkommen und ihr folgen, wenn sie aufbricht.«
»Du hast doch gehört, was Caleb gesagt hat. Raina istnicht ohne Grund hier. Ich will wissen, was sie da drinnen macht.«
Bevor er weitere Einwände erheben konnte, stieg ich aus dem Wagen. Mir gefiel es nicht, mich mit Simon zu streiten, aber wir hatten schon zwei Stunden vor Bettys Fischerhaus verbummelt, bis Raina herausgekommen war, und dann war sie so schnell in Richtung der Highschool losgebraust, dass wir sie fast verloren hätten. Nur mit Mühe war es uns gelungen, ihren Range Rover im Blick zu behalten und gleichzeitig so viel Abstand zu lassen, dass sie uns nicht bemerkte. Nach ihrem seltsamen Benehmen im Restaurant und Moms Beteuerung, Raina nicht zu kennen, war ich nun entschlossen herauszufinden, was immer ich konnte.
Ich eilte ins Schulgebäude und stellte mit einem Blick über die Schulter fest, dass Simon und Caleb mir nachgeeilt kamen. Das Geräusch von lautem Stimmengewirr führte mich zur Versammlung. Der Saal war so voll, dass es keine Sitzplätze mehr gab. Ich manövrierte mich durch die stehende Menge, bis ich gute Sicht auf das Podium hatte.
»Was tut Mark denn hier?«, fragte Simon und drängelte sich neben mich.
Er nickte nach vorn, und dort saß Calebs Kumpel vom Surferstrand in der allerersten Reihe, neben dem einzigen leeren Stuhl im Saal.
»Einen guten Abend wünsche ich euch allen.«
Raina stand am Rednerpult. Sie hatte sich umgezogen, bevor sie das Restaurant verließ, und trug nun ein seidiges weißes Kleid mit Spaghettiträgern, das ihre wohlgeformten, sonnengebräunten Arme betonte. Ihr Haar war zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, und ein Hauch von Mascara ließ ihre Augen glänzen. Ihr Aussehen verfehlte seine Wirkung nicht, und die Menge war still geworden, sobald Raina zu sprechen begonnen hatte.
»Vielen Dank, dass ihr alle so kurzfristig hergekommen seid, um das Erste Lighthouse-Wellness-Resort-Lichterfest zu besprechen. Mir ist klar, wie schwer es euch fallen muss, jetzt ans Feiern zu denken, nachdem Winter Harbor erst kürzlich von mehreren Tragödien heimgesucht wurde – unter anderem dem Tod von Paul Carsons, der als wichtigster Geldgeber des Lighthouse Resorts auch das Festival verlässlich unterstützt hat.«
Sie machte eine Kunstpause. Ich folgte Simons Blick zur vordersten Stuhlreihe, wo nun Caleb saß und leise auf Mark einredete.
»Doch gerade wegen dieser Tragödien«, fuhr Raina fort, »ist es wichtiger denn je, dass wir als Gemeinschaft zusammenhalten. Unsere Gäste brauchen in dieser dunklen Zeit unsere Unterstützung.«
»Welche Gäste?«, rief eine Frau von hinten.
»Ich habe Umsatzverluste von achtzig Prozent«, fügte eine andere hinzu. »Die meisten Touristen sind schon abgereist, und der Rest ist zu
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