Ocean Rose Trilogie Bd. 3 - Erfüllung
und Totschlag geredet, da wir annahmen, dass sie deswegen gegangen war. Die ganze Zeit konnte ich spüren, wie meine Kehle immer trockener wurde und meine Haut sich spannte, als würde ich am Strand in der Sonne brutzeln. Wäre mir Simon nicht in ein paar Meter Entfernung hinterhergefahren, hätte ich auf dem Weg durch die Stadt weder Stoppschilder noch Geschwindigkeitsbegrenzungen beachtet, um nur möglichst schnell nach Hause zu kommen.
Ich wollte ins Meer und schwimmen. Ich brauchte das Wasser.
»Bin wieder da!«, rief ich, schlug die Tür zu, ließ meine Handtasche fallen und schlüpfte aus den Sandalen. »Ich komme gleich und sage hallo, aber erst brauche ich eine kurze Schwimmtour!«
Gerade wollte ich durch den Flur zu meinem Zimmer eilen – da blieb ich wie angewurzelt stehen, als ich sah, was sich in der Fensterfläche links von mir spiegelte.
Der Eingang zur Küche. Der Küchentisch. Und eine Person, die daran saß. Die Szene änderte sich auch nicht, als ich mich umdrehte, um sie in echt zu sehen.
Ich ging darauf zu, und während ich näher kam, fielen mir Details auf. Drei Kaffeetassen. Ein halb aufgegessener Käsekuchen. Eine Reisetasche, aus der ein Schlafsack quoll. Hausschuhe.
»Mir war nicht klar, dass hier eine Pyjamaparty stattfindet«, sagte ich, als ich die Küche betrat.
Moms Kaffeelöffel erstarrte mitten in der Rührbewegung, und Dad verschluckte sich.
Charlotte lächelte.
»Hallo, Vanessa.«
»Hi.« Ich schaute zwischen ihr und meinen Eltern hin und her, die sich bemühten, die Fassung wiederzugewinnen. »Was ist denn hier los?«
»Wir waren gerade beim Nachtisch.« Mom sprang auf, eilte zum Küchenschrank und drückte im Vorübergehen meinen Arm. »Setz dich. Ich bringe dir einen Teller.«
»Schon okay. Ich habe keinen Hunger.« Abwartend baute ich mich neben dem Küchentresen auf.
»Na, wie war das Treffen der Fantastischen Vier?«, erkundigte sich Dad und wandte sich sofort Charlotte zu, ohne meine Antwort abzuwarten. »Vanessa war mit ein paar Freunden zum Essen verabredet: Paige … ein nettes Mädchen, mit dem sie sich letzten Sommer hier angefreundet hat und das danach eine Weile bei uns gewohnt hat, um in Boston zur Schule zu gehen … und die Carmichael-Brüder, die –«
»Charlotte weiß, wer das ist.«
Dad klappte fast hörbar den Mund zu. Hinter mir ließ Mom eine Gabel fallen, die scheppernd auf dem Fliesenboden landete.
»Was ist hier los?«, wiederholte ich.
»Charlotte hat auf der Durchreise einen Stopp in Winter Harbor gemacht«, sagte Mom liebenswürdig, als sei meine Sirenenmutter eine entfernte Verwandte, die selten auf Besuch kam und jedes Mal mit Freuden aufgenommen wurde.
»Weiß ich. Aber was tut sie hier? In unserem Haus?« Ich schaute Charlotte an, als ich diese Fragen stellte. Sie öffnete den Mund zu einer Erklärung, aber Mom war schneller.
»Wir sind uns auf dem Markt über den Weg gelaufen. Charlotte hat erwähnt, dass sie sich ein paar Tage im Lighthouse Resort einmieten will, und ich habe sie eingeladen, stattdessen bei uns zu übernachten.«
»Und sie hat die Einladung angenommen?« Noch immer richtete ich meine Frage direkt an Charlotte.
»Ja.« Mom war näher gekommen, und sagte sanft in mein Ohr: »Ist schon okay, Schatz. Wirklich.«
Ich hätte ihr gern geglaubt, aber das fiel mir schwer. Die beiden waren sich erst einmal begegnet, nämlich an dem Tag, als die Sirenen versucht hatten, Simon und mich am Grund des Sees zu ertränken. Wenn man bedachte, was sich zwischen Dad und Charlotte abgespielt hatte, kam es mir unfassbar vor, dass Mom jetzt die Gastgeberin spielte, als sei alles ganz normal. Steckte sie zurück, weil sie glaubte, dass ich Charlotte so nah wie möglich bei mir haben wollte? Obwohl sie dachte, dass ich meine Sirenenmutter seit dem Tag am See nicht mehr gesprochen hatte?
»Dein Vater hat mir gerade von eurem kleinen Privatstrand erzählt«, sagte Charlotte. »Den würde ich wirklich gerne sehen.«
»Bestimmt freut sich Vanessa darauf, ihn dir zu zeigen«, warf Mom ein.
Der dumpfe Schmerz, den ich schon seit dem Essen in meiner Brust spürte, verschärfte sich plötzlich. Ich hatte heute Mittag nicht gelogen, als ich Charlotte gesagt hatte, dass ich mich über ihren Besuch freute. Das war einer der Gründe, warum ich sie gebeten hatte, länger zu bleiben. Aber wenn ich mich zwischen meinen beiden Müttern entscheiden musste, galt meine Loyalität auf jeden Fall der, die mich aufgezogen hatte. Charlotte hatte
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