Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
hinter sich.
»In Charlottes Buchladen. Als dein Vater zum Stöbern kam, war er sehr beeindruckt von ihrer Sammlung seltener Erstausgaben. Die beiden kamen ins Gespräch, und danach tauchte er alle paar Wochen auf.«
»Wusste sie, dass er verheiratet war?«
»Ja.«
»Und trotzdem hat sie ihm schöne Augen gemacht?«
»So würde ich es nicht ausdrücken. Zwar genoss sie seine Gesellschaft, aber sie respektierte seine Ehe.«
»Also nur harmloser Smalltalk, ja? Und wie ist daraus … mehr geworden?«
Sie zögerte. »Das ist kompliziert.«
Schon wollte ich protestieren, da fiel mir Calebs sarkastische Bemerkung über Quantenphysik und Captain Montys Launen ein. »Okay«, sagte ich.
»Vanessa«, setzte sie an und blickte mir in die Augen, »ich möchte dir die Wahrheit erzählen, denn das ist wohl das mindeste, was ich für dich tun kann. Aber dafür muss ich dich auch über die körperlichen Schwächen und Lebensbedingungen von uns Sirenen aufklären. Das dürfte nicht leicht für dich werden. Ich will dich nicht überfordern.«
»Keine Sorge.« Vor Aufregung geriet mein Blut so in Wallung, dass es regelrecht weh tat. »Ich komme schon damit klar.«
Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einer zweifelnden oder auch traurigen Miene, aber sie sprach trotzdem weiter. »In seinen Mails hat dein Vater mir von den Ereignissen des Sommers berichtet, von Justines Unfall und dem Ende der Ferienzeit, als du von den Klippen gesprungen und im Krankenhaus gelandet bist.«
Mein Gesicht brannte, und ich faltete die Hände im Schoß, um mir nicht unwillkürlich Luft zuzufächeln.
»In jener Nacht hast du dich ungewollt verwandelt, nicht wahr?«
Ich schluckte. »Vermutlich.«
»Dann weißt du schon, wie sehr ein Sirenenkörper von Salzwasser abhängig ist und dass wir schnell schwächer werden, wenn wir nicht regelmäßig unser Blut damit auffrischen.« Sie zögerte. »Wie bist du bisher damit zurechtgekommen?«
»So gut, wie man wohl erwarten kann. Manchmal fühle ich mich ganz okay, und manchmal bin ich ständig kurz davor, in Ohnmacht zu fallen. Ich bade in Salzwasser und trinke es literweise, aber wie mein Körper darauf reagiert, scheint von Tag zu Tag verschieden zu sein.«
»Benutzt du Speisesalz?«
Ich nickte.
»Natürliches Salzwasser ist entschieden effektiver. Deshalb wohnen die meisten Sirenen in der Nähe des Meeres. Das Leben wird deutlich einfacher, wenn man keine lange Anfahrt braucht, um sich regelmäßig aufzuputschen.«
Sie sprach davon, als sei Salzwasser für Sirenen eine Alltagsdroge, so wie Koffein, Zucker oder Nikotin für normale Leute.
»Leider«, fuhr sie mit sanfterer Stimme fort, »reicht Salzwasser allein nicht aus. Für eine Weile scheint es zu genügen, besonders gleich am Anfang nach der Verwandlung, aber im Laufe der Zeit lässt die Wirkung immer mehr nach.«
»Was passiert dann?«
Sie schaute zu dem offenen Fenster, und ihr Blick verlor sich in der Ferne, wo das Meer zu sehen war. »Als dein Vater damals Charlotte kennenlernte, ging es ihr schlecht. Das ausgiebige Schwimmen im Meer, das ihre Bedürfnisse früher tagelang befriedigt hatte, reichte nun nur noch für Stunden. Ihr Körper verlangte, dass sie in ihre nächste Entwicklungsphase eintrat, aber sie wehrte sich dagegen.«
»Warum?« Mein Herz zog sich zusammen. Ganz egal, was ich meiner biologischen Mutter vorzuwerfen hatte, ich mochte mir nicht vorstellen, dass sie ernsthaft krank gewesen war. »Wenn es ihr schlechtging und sie etwas dagegen tun konnte, warum hat sie dann gezögert?«
Sie wandte mir wieder ihr Gesicht zu. »In deinem Leben gibt es einen Jungen, der dir etwas bedeutet, nicht wahr?«
Ich versteifte mich.
»Tut mir leid, wenn dir diese Frage zu persönlich vorkommt, aber die Antwort ist wichtig.« Sie wartete einen Moment und ließ mich darüber nachdenken. »Es gibt einen Jungen, oder? Vielleicht hatte er am Anfang kein Interesse an dir, aber das ändert sich nun gerade?«
Sie sprach nicht von Simon. Selbst bevor wir ein Paar wurden, hatte er immer Interesse gezeigt.
Sie meinte Parker.
»Woher wissen Sie das? Hat mein Vater Ihnen davon erzählt?« Falls ja, wie hatte Dad es herausgefunden?
»Nein, natürlich nicht. Dein Vater macht sich viel zu viele Sorgen um eure Beziehung, um deine Gefühle für jemand anderen zu bemerken. Ich habe dich und einen gutaussehenden jungen Mann in der Kaffeebohne beobachtet und mir den Rest selbst zusammengereimt.«
»Keine Ahnung, was genau Sie gesehen haben«,
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