Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
vorbeifahrenden Auto gespiegelt, aber trotzdem konnte ich Paiges Bemerkung nicht verdrängen, dass sie immer darauf wartete, Raina und Zara vor ihrem Fenster auftauchen zu sehen.
Am Flurende angekommen, hielt ich den Atem an, zog zögernd die durchscheinende weiße Gardine zurück – und atmete erleichtert aus, als ich ein Bündel silberner Luftballons sah, die gegenüber an eine Straßenlaterne gebunden waren. Eine Geburtstagsparty in der Nachbarschaft war kein Grund zur Panik.
Simons Anwesenheit allerdings schon.
Er stand vor unserem Haus auf dem Bürgersteig und schaute sich um, als wisse er nicht genau, wo er war.
Mein wild pochendes Herz sandte Hitzewellen durch meinen Körper, als ich die Treppe hinunter und durch das Wohnzimmer sauste, um die Haustür zu öffnen. Simon musterte noch immer unentschlossen die Häuserfassaden und sah so atemberaubend gut aus wie nie zuvor. Er trug Jeans, einen grauen Pullover mit marineblauer Retrojacke und statt seiner üblichen Sneaker ein Paar richtige Lederschuhe mit Schnürbändern. Sein dunkles Haar war kürzer geschnitten als bei meinem letzten Besuch und glänzte, als hätte er es mit Gel gestylt.
Diese Veränderungen waren schon verblüffend genug, aber ein Detail warf mich fast um.
»Wo hast du deine Brille gelassen?«, fragte ich.
Sein Kopf fuhr zu mir herum. Als er mich erkannte, zeichnete sich Erleichterung auf seinem Gesicht ab. Er steckte einen Zettel in die Tasche (auf den er sich vermutlich einen Straßenplan gekritzelt hatte, da er noch nie bei mir in Boston gewesen war) und kam auf die Eingangstreppe zu. An der untersten Stufe blieb er stehen.
»Ich habe mir Kontaktlinsen angeschafft.«
»Wieso?«
»Weil eine Brille beim Mikroskopieren stört.«
Ich musste lächeln. Das war typisch Simon.
»Ich habe deine Nachrichten bekommen. Tut mir leid, dass ich nicht gleich geantwortet habe, aber im Labor müssen wir unsere Handys ausschalten. Also habe ich sie gestern erst spät am Abend gelesen und dachte, du schläfst vielleicht schon. Na ja, und da …«
»… hast du dich ins Auto gesetzt und bist spontan hundertfünfzig Meilen nach Boston gefahren?«
Er blickte auf seine Füße und dann wieder zu mir hoch. »Um dich zu sehen, ist mir nichts zu eilig oder zu weit.«
Ich flog förmlich die Treppe hinunter in seine Arme. »Tust du mir einen Gefallen?«, murmelte ich an seinem Hals. »Wartest du in dem Café an der Ecke Newbury und Exeter Street auf mich? Ich komme in zwanzig Minuten nach.«
Simons Umarmung wurde fester, ein sicheres Zeichen, dass er sich Sorgen um mich machte.
»Bei uns im Haus ist mir zu viel los«, erklärte ich. »Da habe ich dich lieber ganz für mich allein.«
Er gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Okay, dann in zwanzig Minuten.«
Er schaute mir nach, wie ich die Stufen hinaufrannte, und ich winkte ihm von der Tür aus zu. Drinnen linste ich durch die Vorhänge, um sicher zu sein, dass er in die richtige Richtung verschwand.
So schnell wie dieses Mal hatte ich noch nie geduscht. Ich rieb mich nicht einmal mit Salz ein. Dafür nahm ich mir die Zeit, meine Haut mit duftender Lotion einzucremen, mir das Haar zu föhnen und das richtige Outfit auszusuchen. Letzteres war wie immer eine besondere Herausforderung, da ich zwar für Simon attraktiv aussehen wollte, aber möglichst für niemanden sonst. Ich wühlte mich durch die Kleidung, die aus meinem roten Koffer auf den Boden quoll, doch alles war mir zu langweilig oder zu zerknittert.
Mit klopfendem Herzen wandte ich mich Justines Schrank zu. Ich wusste, dass er immer noch voller farbenfroher Hosen, Röcke, Tops und Sommerkleider steckte. Wäre sie hier gewesen, hätte sie mir ohne weiteres ihre Kleidung geliehen – um genau zu sein, hätte sie vermutlich darauf bestanden. Sie hatte mich immer ermutigt, buntere Farben zu tragen als die neutralen Töne, zu denen ich automatisch griff. Trotzdem fühlte es sich seltsam an, ihren Schrank zu öffnen, besonders da ihn niemand mehr angerührt hatte, seit wir zu Beginn der Sommerferien nach Winter Harbor aufgebrochen waren.
Ich nahm den schmalen Griff in die Hand und zog die Tür langsam auf – dann mit einem plötzlichen Ruck. Fassungslos starrte ich auf den Inhalt des Schranks und traute meinen Augen nicht.
Justines Sommerkleidung war verschwunden. Stattdessen sah ich Winterhosen, dicke Wollröcke und Kaschmirpullover. Alles war nach Farben sortiert, begann links mit strahlenden Rot- und Orangetönen und endete rechts mit Braun und
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