Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
Minuten zusammen in der Bibliothek.«
Ich schaute in seine Augen und konnte die Tränen nicht länger zurückhalten, denn sie waren weder braun noch warm, noch tröstlich.
Diese Augen gehörten nicht Simon.
Sondern Parker King.
K APITEL 17
P aige starrte auf ein Foto, das sie sich aufs Handy geladen hatte, und murmelte: »Dabei dachte ich immer, niemand könnte eine größere Exhibitionistin sein als Z.«
Die Erwähnung dieses Namens ließ mich fast das Steuer herumreißen, das ich sowieso viel zu fest umklammert hielt. Schon seit Beginn unserer Fahrt nach Maine war ich ein einziges Nervenbündel.
»’tschuldigung«, sagte Paige. »Aber irgendwie ist das auch ein gutes Zeichen, oder nicht? Ich meine, dass ich den M. O. meiner toten Schwester so beiläufig in einem Gespräch erwähnen kann.«
Ich konzentrierte mich darauf, gleichmäßig zu atmen und keine weiteren Schlangenlinien zu fahren. Da ich Paige nicht unnötig beunruhigen wollte, hatte ich ihr die ganze Sache mit der Longfellow- Brücke verschwiegen. Doch es fiel mir von Tag zu Tag schwerer, nicht mit der ganzen Geschichte herauszuplatzen, auch wenn ich immer noch der Meinung war, dass ich richtig handelte.
»M. O.?«, fragte ich stattdessen.
»Modus Operandi. Sorry, das habe ich bei Fernsehkrimis aufgeschnappt.« Sie studierte weiter ihr Handydisplay. »Sie hat mit so vielen Typen rumgemacht, dass ich es nicht nur an allen zehn Fingern abzählen konnte, sondern auch noch meine Zehen und die eines ganzen Footballteams gebraucht hätte. Außerdem bin ich dabei ständig über sie gestolpert, weil sie so wenig Hemmungen hatte. Aber selbst Z hatte ihre Grenzen.« Sie warf mir einen schnellen Blick zu. »Jedenfalls, wenn es ums öffentliche Rumknutschen ging und nicht um Leben und Tod.«
»Jeder hat wohl irgendwelche Grenzen«, stellte ich fest und griff nach der Wasserflasche in der Halterung zwischen den Sitzen.
»Außer Parker King.«
Wieder verriss ich das Steuer, und zwar, weil mir dieses Mal die offene Flasche aus der Hand gefallen und in meinem Schoß gelandet war.
Paige reichte mir ein paar Servietten, die von unserer letzten Snackpause an einer Tankstelle übrig waren, und übernahm vom Beifahrersitz aus das Steuer. »Soll ich dich beim Fahren ablösen?«
»Nicht nötig.« Ich tupfte das Wasser weg, warf die nassen Servietten in eine leere Supermarkttüte und griff wieder nach dem Lenkrad. »Warum hast du das gesagt? Ich meine, über Parker?«
Sie hielt mir das Handy hin, und nachdem ich einen kurzen Blick darauf geworfen hatte, schluckte ich sichtbar und starrte wieder auf die Straße.
»Ja, ich weiß.« Sie schaute fasziniert auf das Bild. »Echt peinlich, was?«
Ich wollte zustimmen, brachte aber nur ein stummes Nicken zustande. Da Paiges Beweisfoto mich selbst zeigte, wie ich im Flussmatsch auf Parker lag und ihn abküsste, war selbst ein Nicken schon eine Leistung.
»Ich frage mich, mit wem er da rummacht.« Sie hielt sich das Display noch dichter vor die Nase und betrachtete ihn mit schmalen Augen. »Sein Gesicht kann man klar erkennen, aber bei dem Mädchen ist das lange Haar im Weg.«
Ich schickte ein Dankgebet zum Himmel, weil ich ausnahmsweise nicht Simons Sweatshirt getragen, sondern es der Haushälterin zum Waschen gegeben hatte. Sonst hätte nicht nur Paige, sondern auch jeder an der Schule mich auf den ersten Blick erkannt.
»Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Wer hat das Foto denn geschossen?«
Sie klappte das Handy zu und warf es zurück in ihre Handtasche. »Weiß nicht. Jemand hat es bei Prepschool Watch ins Netz gestellt, das ist so eine Klatschseite für Privatschulen. Ich bekomme alles mit dem Stichwort Hawthorne geschickt – dachte mir, das ist eine gute Methode, um die Leute in meinem Jahrgang kennenzulernen.«
Von der Website hatte ich schon gehört, sie aber noch nie selbst besucht. »Stehen da auch Namen?«
»Meistens. Bei diesem Foto allerdings nicht. Da gab es nur den Untertitel ›Hawthornes glücklichstes Pärchen‹. Wer immer es ins Netz gestellt hat, kannte das Wappen auf der Schuluniform, geht aber selbst nicht zur Hawthorne, schließlich weiß dort jeder, wie Parker King aussieht. Bestimmt dauert es nicht lange, bis jemand die beiden identifiziert und ihre Namen dazuschreibt.« Sie unterbrach sich. »Ähh, Vanessa?«
»Was denn?«
»Wir heben gleich ab. Wenn ich fliegen will, nehme ich einen Jumbojet.«
Ich warf einen Blick auf den Tacho, der fast 140 Stundenkilometer anzeigte. »Sorry.« Ich
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