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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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Wüste / er schwört, gesehen zu haben, wie er sich in einen Schwarzen verwandelt hat und dann wieder weiß geworden ist / weil er mit dem dortigen Medizinmann Geschäfte gemacht hat, und dabei hat er gelernt, wie man das rote Pulver herstellt, das / als sie sie gefangennahmen, fesselten sie alle an einen einzigen riesigen Baum und warteten, bis die Insekten sie völlig bedeckten, aber er fing an, in einer unverständlichen Sprache zu reden, und da haben diese Wilden plötzlich / schwor, er sei auf den Bergen gewesen, wo die Sonne nie untergeht, weswegen niemand bei gesundem Verstand wieder heruntergekommen ist außer ihm, der, als er unten war, lediglich sagte / am Hof des Sultans, an den sie ihn wegen seiner wunderschönen Stimme geholt hatten; und er, goldbedeckt, hatte sich in der Folterkammer aufzuhalten und zu singen, während sie dort ihre Arbeit verrichteten, alles nur, damit der Sultan nicht das störende Echo des Wehklagens hören sollte, sondern den Wohlklang seines Gesangs, der / im Kabalakisee, der so groß ist wie das Meer und von dem sie dort auch vermuteten, daß es das Meer sei, so lange nämlich, bis sie ein Schiff aus riesigen Blättern bauten, aus Baumblättern, und damit von einer Küste zur anderen fuhren, und er war auf dem Schiff, das könnte ich beschwören / um nackt und angekettet, damit sie nicht fliehen konnten, mit bloßen Händen Diamanten aus dem Sand zu sammeln, und er war mittendrin, wie es ebenfalls wahr ist, daß / alle sagten, er sei tot, ein Sturm habe ihn fortgerissen, aber eines Tages hackten sie vor dem Tesfa-Tor einem die Hände ab, einem Wasserdieb, und ich schaue genau hin, und er war’s, tatsächlich er / deshalb nennt er sich Adams, aber er hatte schon tausend Namen, einmal hat ihn jemand getroffen, als er gerade Ra Me Nivar hieß, was in der Sprache der Gegend Fliegender Mann heißt, und ein anderes Mal an der afrikanischen Küste / in der Totenstadt, die niemand zu betreten wagte, weil seit Jahrhunderten ein Fluch über ihr lag, der bei denjenigen die Augen brechen ließ, die …
    »Schluß damit.«
    Langlais blickte nicht einmal von seiner Tabaksdose auf, mit der seine Hände schon minutenlang nervös spielten.
    »Gut. Bringt ihn weg.«
    Niemand rührte sich.
    Schweigen.
    »Herr Admiral, da wäre noch etwas.«
    »Was?«
    Schweigen.
    »Dieser Mann hat Timbuktu gesehen.«
    Langlais’ Tabaksdose stockte.
    »Es gibt welche, die bereit sind, es zu beschwören: Er war dort.«
    Timbuktu. Die Perle Afrikas. Die unauffindbare prächtige Stadt. Truhe aller Schätze, Sitz aller barbarischen Götter. Herz der unbekannten Welt, Bastion mit tausend Geheimnissen, gespenstisches Imperium aller Reichtümer, verfehltes Ziel endloser Reisen, Quelle aller Gewässer und Traum eines jeden Himmels. Timbuktu. Die Stadt, die kein Weißer je gefunden hat.
    Langlais blickte auf. Im Raum schienen alle in eine plötzliche Starre gefallen zu sein. Nur Adams Augen irrten weiter umher, darauf lauernd, eine unsichtbare Beute zu ergreifen. 
     
    Der Admiral verhörte ihn lange. Wie es seine Gewohnheit war, sprach er mit strenger, doch sanfter, fast unpersönlicher Stimme. Keine Gewalt, kein besonderer Druck. Nur die geduldige Prozession kurzer, präziser Fragen. Er bekam keine einzige Antwort.
    Adams schwieg. Er schien für immer verbannt in eine Welt, die unabwendbar eine andere war. Nicht einen einzigen Blick konnte er ihm entreißen. Nichts.
    Eine Weile blickte Langlais ihn fest an, ohne etwas zu sagen. Dann machte er eine Kopfbewegung, die keinen Widerspruch duldete. Sie zerrten Adams vom Stuhl hoch und schleppten ihn fort. Langlais sah, wie er sich entfernte – die Füße schleiften über den Marmorfußboden –, und er hatte das fatale Gefühl, daß in dem Augenblick auch Timbuktu in den ungenauen Landkarten des Reiches noch weiter in die Ferne rückte. Ohne eine Erklärung dafür zu haben, kam ihm eine der vielen Legenden in den Sinn, die über diese Stadt im Umlauf waren: daß die Frauen dort unten nur ein Auge unbedeckt ließen, das mit gefärbter Erde wunderbar ummalt war. Er hatte sich immer gefragt, warum in aller Welt sie das andere versteckt hielten. Er stand auf und trat gleichgültig ans Fenster. Als er es gerade öffnen wollte, ließ ihn eine Stimme in seinem Kopf erstarren; eine Stimme, die einen klaren und deutlichen Satz aussprach:
    »Weil kein Mann ihren Blick aushalten könnte, ohne wahnsinnig zu werden.«
    Langlais drehte sich abrupt um. Im Raum war niemand. Er wandte sich

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