Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres
hätte nicht den geringsten Zweifel gehegt, den klassischsten und perfektesten aller Gärtner vor sich zu haben: schweigsam und gelassen, bedächtig und bestimmt in seinen Gesten, unergründlich und ohne Alter. Ein gütiger Gott einer kleinen Schöpfung.
In dieser ganzen Zeit stellte ihm Langlais keine einzige Frage. Er wechselte ein paar Worte mit ihm, die zumeist den Gesundheitszustand der Schwertlilien oder einen unberechenbaren Wetterwechsel betrafen. Keiner von beiden spielte auf die Vergangenheit an, auf irgendeine Vergangenheit. Langlais wartete. Er hatte keine Eile. Er genoß sogar die Freude der Erwartung. So sehr sogar, daß er einen absurden Anflug von Verärgerung verspürte, als eines Tages, während er auf einem Nebenweg im Garten spazierenging und in Adams’ Nähe vorbeikam, sah, wie dieser von einer perlfarbenen Petunie aufblickte und hörte, wie er – augenscheinlich an niemanden gewandt – deutlich diese Worte aussprach:
»Timbuktu hat keine Stadtmauern, denn dort glauben sie seit jeher, daß allein ihre Schönheit ausreicht, um jeden möglichen Feind aufzuhalten.«
Dann schwieg Adams und senkte den Blick wieder auf die perlfarbene Petunie. Langlais setzte, ohne ein einziges Wort zu sagen, seinen Weg fort. Nicht einmal Gott, falls er existierte, hätte etwas bemerkt.
Von dem Tag an begannen alle seine Geschichten aus Adams herauszufließen.
Zu den unterschiedlichsten Gelegenheiten und in undurchschaubaren Zeitintervallen und Liturgien. Langlais beschränkte sich aufs Zuhören. Nie stellte er eine Frage. Er hörte bloß zu. Manchmal waren es einfache Sätze. Andere Male richtige Erzählungen. Adams erzählte mit leiser, warmer Stimme. Mit erstaunlicher Kunstfertigkeit bemaß er seine Worte und sein Schweigen. In seinem Psalmodieren von phantastischen Erscheinungen hatte er etwas Hypnotisches. Ihm zu lauschen war wie Magie. Langlais war verzaubert.
Nichts von dem, was er bei den Erzählungen erfuhr, gelangte in seine in dunkles Leder eingebundenen Register. Das Reich hatte diesmal nichts damit zu tun. Diese Geschichten gehörten ihm. Er hatte darauf gewartet, daß sie aus dem Schoß einer geschändeten, toten Erde aufkeimten. Und nun erntete er sie. Sie waren das erlesene Geschenk, so hatte er beschlossen, mit dem er seine eigene Einsamkeit beglücken wollte. Er stellte sich vor, wie er im demütigen Schatten dieser Geschichten altern würde. Und eines Tages sterben würde mit dem für jeden anderen weißen Mann verbotenen Bild des allerschönsten Gartens von Timbuktu vor Augen.
Er glaubte, das alles würde – so zauberhaft beschwingt und leicht – ewig so bleiben. Er konnte nicht vorhersehen, daß ihn schon bald etwas überraschend Grausames an diesen Mann namens Adams binden würde.
Es geschah nämlich, daß sich Admiral Langlais einige Zeit nach Adams’ Ankunft in der ebenso mißlichen wie banalen Lage befand, bei einem Schachspiel sein Leben aufs Spiel setzen zu müssen. Zusammen mit seinem kleinen Gefolge war er auf freiem Feld von einem Banditen überrascht worden, der in der Gegend für seinen Irrsinn und die Grausamkeit seiner Taten unrühmlich berüchtigt war. In dem Fall zeigte er sich erstaunlicherweise geneigt, nicht über seine Opfer herzufallen. Als einzigen hielt er Langlais gefangen und schickte alle anderen zurück mit dem Auftrag, die enorme Lösegeldsumme aufzutreiben. Langlais wußte, daß er reich genug war, um sich die Freiheit zurückzukaufen. Was er hingegen nicht vorhersehen konnte, war, ob der Bandit geduldig genug sein würde, auf die Ankunft der großen Geldsumme zu warten. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er einen stechenden Todesgeruch an sich haften. Zwei Tage verbrachte er angekettet und mit verbundenen Augen in einem Karren, der seine Fahrt nie unterbrach. Am dritten Tag befahl man ihm auszusteigen. Als man ihm die Augenbinde abgenommen hatte, fand er sich dem Banditen gegenüber sitzend wieder. Zwischen beiden stand ein kleiner Tisch. Auf dem Tisch ein Schachbrett. Der Bandit war recht lapidar in seiner Erklärung. Er räumte ihm eine Chance ein. Eine Partie. Wenn er gewann, war er frei. Wenn er verlor, würde er ihn töten.
Langlais versuchte, ihn zur Vernunft zu bringen. Als toter Mann sei er keinen Pfennig wert, warum sollte man ein Vermögen einfach so wegwerfen?
»Ich habe Sie nicht nach Ihrer Meinung gefragt. Ich habe gefragt: ja oder nein. Also beeilen Sie sich.«
Ein Wahnsinniger. Das war ein Wahnsinniger. Langlais begriff, daß er
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