Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
er das möchte«. Auch an Majas Reaktion erinnerte er sich, an das Blitzen in ihren Augen, als sie gefragt hatte: »Findest du diese Widmung nicht wunderbar?« Nein, das fand er nicht. Auch jetzt hielt er Tuwja Schajs Widmung für eine vollständige Selbstaufgabe Tirosch gegenüber, eine Selbstaufgabe, die in ihm Zorn und Unbehagen weckte.
    Er verließ den allgemeinen Lesesaal, setzte sich vor das riesige bunte Fenster von Ardon, zündete sich eine Zigarette an und streckte die Beine aus. Er ignorierte den stechenden Blick eines bekannten Professors, der an ihm vorüberging und demonstrativ zu dem Schild »Bitte nicht rauchen« hinüberschaute, und streifte die Asche in dem einzigen Aschenbecher in der Eingangshalle ab.
    Ein seltsam süßer Zigarettenduft, der vom anderen Ende der Stuhlreihe kam, stieg ihm in die Nase. Er drehte den Kopf und sah Schulamit Zelermaier, eine Zigarette im Mund und in der Hand etwas, das wie ein wissenschaftliches Manuskript aussah. Auf dem Stuhl neben ihr lag ein Stapel Papiere. Sie saß mit gespreizten Beinen da, so daß man unter ihrem blauen Rock die dicken Schenkel sehen konnte. Er sah das Profil ihres runden Gesichts unter den ungekämmten grauen Locken. Mit einem lauten Seufzer knallte sie das Manuskript auf den Nachbarstuhl und drehte den Kopf in seine Richtung. Ihr Blick blieb an ihm hängen, und für einen Moment zeigte sich Verwirrung auf ihrem Gesicht. Dann, als sie ihn erkannte, fragte sie laut: »Sind Sie nicht dieser Polizist?«
    Michael nickte, stand auf und setzte sich auf den Stuhl neben den mit dem Papierstapel.
    »Warum sind Sie hier?« fragte sie, und ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr sie fort: »Ich war schon beim Detektor. Eine seltsame Sache, so eine ›Wahrheitsmaschine‹, das ist doch schon ein Oxymoron, um nicht gleich ›Quatsch‹ zu sagen.«
    Michael versuchte, sich an die Bedeutung des Wortes Oxymoron zu erinnern, und sie, als merke sie es, sprach gleich weiter: »Das ist eine Verbindung zweier Begriffe, die sich eigentlich ausschließen. Wie programmiert man eine Maschine, die so etwas wie Wahrheit messen soll? Wie mir der Mann dort erklärt hat, mißt die Maschine Herzschlag, Schweißabsonderung, Blutdruck und ähnliche Reaktionen, um den psychischen Zustand einer Person darzustellen. Aber was hat das mit der Wahrheit zu tun?« Bevor Michael etwas antworten konnte, sprach sie bereits weiter. »Sind Sie nicht für den Fall verantwortlich?«
    Michael nickte und steckte sich eine neue Zigarette an, deren Geruch stärker war als der süßliche Duft der Zigarette, die Dr. Zelermaier rauchte.
    »Hier ist ein Aufsatz von mir«, sagte sie und spielte mit den Fingern an den Holzperlen ihrer Kette. »Ich habe fünf Druckfehler gefunden. Wofür war dann das ganze Korrekturlesen gut?« Ein zorniges Lachen entblößte ihre großen, vorstehenden Zähne. Sie hielt ihm das amerikanische Monatsblatt hin, in dem ihr Aufsatz »Das Todesmotiv in der talmudischen Literatur« abgedruckt war.
    Er warf einen Blick auf den Aufsatz, und als er ihn ihr zurückgab, fragte er, seit wie vielen Jahren sie bereits an der Fakultät unterrichte. »Fast so viele Jahre, wie Sie alt sind«, antwortete sie. »Und wenn Sie wissen wollen, warum ich noch nicht ordentliche Professorin geworden bin, so hätten Sie Herrn Tirosch fragen müssen, er ruhe in Frieden, der das nie befürwortet hat, trotz meiner Veröffentlichungen.«
    Michael fragte, welche Gründe Tirosch für seine Behinderung ihrer beruflichen Karriere gehabt habe.
    »Oh«, sagte sie und zog die Lippen über den Zähnen hoch, »er hat mich als Kuriosum betrachtet. Und mein Fachgebiet, Volksliteratur, war für ihn nur Folklore für alte Frauen. Einmal im Jahr machte er den Vorschlag, das Fach um ein oder zwei Stunden zu kürzen, weil es nicht wissenschaftlich genug sei. Aber er hat es nie geschafft, eine Mehrheit für diesen Vorschlag zu bekommen, der meiner Meinung nach nur ein persönlicher Angriff auf mich war, nichts weiter. Er mochte es, wenn ich zornig wurde. Das hat er oft genug gesagt. Ich kann noch immer seine Stimme hören, wie er sagte: Schulamit, du bist herrlich in deinem Zorn, und dann zitierte er oft eine Zeile von Alterman: ›Denn herrlich ist die Wirtin in ihrem Zorn und stolz ihre Hüften, wer wird sie umarmen?‹ Weiter hat er nicht zitiert. Ich weiß nicht, ob Sie den Abend im Wirtshaus von Alterman kennen.« Michael warf ihr einen Blick zu. Sie war also herrlich in ihrem Zorn.
    »Jedenfalls«, fuhr sie fort

Weitere Kostenlose Bücher