Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
anzupassen. Letzten Endes, überlegte Michael und nahm sein Handtuch, während Usi etwas von Schock murmelte und er selbst sich vollkommen losgelöst von allem fühlte, was um ihn herum geschah – letzten Endes hat sich Usi, jedenfalls auf seine Art, angepaßt. Seit Jahren lebte er in Eilat und leitete den Tauchclub, und er war zu einem Fachmann geworden, was Flora und Fauna des Roten Meeres betraf, obwohl er sich nie die Mühe gemacht hatte, irgendein Studium zu absolvieren.
Zwar hatte er eine Freundin nach der anderen, dachte Michael müde, doch auch darin schien Usi einem festen Muster zu folgen. Gestern hatte Michael seine neueste Eroberung kennengelernt. Die Frauen in seinem Leben kümmerten sich um ihn und erhielten die Freundschaft auch nach der Trennung aufrecht, und immer waren sie es, die die Trennung herbeiführten. Noa, die zweite Frau, die Mutter seines einzigen Sohnes, hatte Michael einmal in Jerusalem aufgesucht. Usi habe so viel über ihn erzählt, sagte sie entschuldigend, sie habe nie verstanden, warum sie aufgehört hätten, einander zu treffen. So hatte er zu seinem Erstaunen erfahren, daß Usi noch an ihn dachte. Bis zu der Begegnung mit Usis zweiter Frau hatte er angenommen, daß sein Freund ihn vollkommen aus seinem Bewußtsein gelöscht hätte, daß er ihm gegenüber nur Haß und Scham empfinde. In dem kleinen Cafe, in dem er mit Noa saß, hörte er zum ersten Mal, daß Usi voller Zuneigung von ihm sprach. Sie verstand einfach nicht, »warum ihr euch die ganzen Jahre nicht gesehen habt, als gäbe es irgendein schreckliches Geheimnis«. Michael hatte geschwiegen und ihr sein charmantestes Lächeln geschenkt, und Noa war in der Tat hingerissen und stellte keine Fragen mehr.
Noch immer erinnerte er sich mit schmerzhafter Klarheit an den Tag, als Usi, natürlich rein zufällig, herausfand, daß seine Mutter, die damals jünger war als er heute, noch nicht einmal vierzig, die Antwort auf Michaels Gebete war, daß irgendwann einmal eine ältere, erfahrene Frau komme und ihn »von seiner Unschuld befreie«, wie es in den Heftchen formuliert wurde, die er damals heimlich las.
Sogar bei der Begegnung mit Noa, fünfzehn Jahre nach dem Ereignis, das er für sich immer »Teppichszene« nannte, konnte Michael nicht lachen, als er Usis Gesicht wieder vor sich sah, wie er wie gelähmt im Türrahmen gestanden und sie angestarrt hatte, seinen besten Freund und seine Mutter, da auf dem dicken Teppich, angestarrt von oben bis unten. Dann hatte er, ohne ein Wort zu sagen, die Tür hinter sich zugeworfen.
Er habe ja nicht wissen können, hatte Michael sich immer wieder gesagt, daß Usi, der nach Achsiv gefahren war, um sich von der Paukerei für das Abitur zu erholen, noch am selben Tag zurückkommen würde. Und obwohl er sich mit dem Gedanken tröstete, daß Usi nicht wußte, daß die Beziehung damals schon anderthalb Jahre dauerte, konnte Michael ihm danach nicht mehr in die Augen sehen.
Erst nachdem er sich mit Noa getroffen hatte, die sich bei ihm über Usis Verschlossenheit beklagt hatte, darüber, daß es unmöglich sei, mit ihm eine offene, warme Beziehung zu haben, daß er sich in seiner eigenen Unterwasserwelt verbarrikadiert habe, völlig abgeschnitten von anderen Menschen – erst da hielt Michael es für denkbar, daß er und Usi einander irgendwann in Zukunft einmal wiedersehen könnten.
Er hörte die Freude und die Überraschung in Usis Stimme, als er mit zitternden Fingern vor einer Woche die Nummer des Tauchclubs wählte, fünf Jahre nach dem Gespräch mit Noa. Den ersten Abend brachten sie sich unter viel Gelächter gegenseitig auf den neuesten Stand. Die Eltern wurden kaum erwähnt. Daß Usis Vater einen langsamen und qualvollen Krebstod gestorben war, hatte Michael schon vor zehn Jahren gehört. Von einer ehemaligen Klassenkameradin hatte er auch erfahren, wie hingebungsvoll die Mutter ihn während der schweren Krankheit gepflegt hatte, auch daß sie zum zweiten Mal geheiratet hatte und nach Paris gezogen war.
Usi selbst erwähnte seine Mutter nicht, nur – in einem Nebensatz – den Tod seines Vaters. Und Michael, der danach lechzte, die Angelegenheit zu besprechen, und sich fast wörtlich vorgestellt hatte, wie sie über alles reden würden, es erklären und jede Unstimmigkeit zwischen ihnen bereinigen würden, empfand eine tiefe Enttäuschung. Usi vermied heikle Themen, und Michaels Versuche, mit ihm zu reden, wehrte er belustigt und manchmal sogar albern ab. Noch nicht einmal die
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