Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
dorthin eingeladen. Bis heute erinnerte er sich an die Ehrfurcht, die er beim ersten Treffen mit Usis Eltern empfunden hatte: Der Vater war ein berühmter Maler, zu dem viele Menschen gepilgert kamen und dessen Bilder vom Meer in allen Museen Israels und in vielen Museen der ganzen Welt gezeigt wurden. Usi selbst behandelte seinen Vater mit einer Mischung aus distanzierter Ehrerbietung und sanftem Mitleid, die Michael damals nicht verstand.
Die Mutter war viel jünger als ihr Mann, und häufig genug erwähnte sie die Tatsache, daß sie erst achtzehn Jahre alt gewesen war, als Usi, ihr einziger Sohn, zur Welt kam. Mit unverhohlenem Vergnügen empfing sie die Freunde, die Usi nach Hause brachte, und war überhaupt außerordentlich interessiert an dem gesellschaftlichen Leben ihres Sohnes.
Anfangs war Michael am Sabbat zu ihnen eingeladen worden, nachmittags, zu einem Ritual mit Kaffee und gekauftem Kuchen. Der Vater saß immer im Wohnzimmer, hinter einem riesigen Schreibtisch, und die Mutter lag auf dem rotbezogenen Sofa, das an einer holzgetäfelten Wand und dem Schreibtisch gegenüber stand, und erinnerte Michael an eine römische Matrone.
Im Zimmer herrschte eine außergewöhnlich kultivierte Atmosphäre. An den Wänden stand eine ganze Bibliothek mit Büchern in den vier Sprachen, die Usis Vater fließend beherrschte, wie die Mutter nie versäumte zu betonen. In den Regalen hinter dem Schreibtisch standen die großen Kunstbücher, die Michael immer so gerne anschauen wollte.
Immer erklang Musik, eine Musik, die er nicht kannte, und in jenem Zimmer hatte er auch zum ersten Mal Beschämung über seine Bildungslücken empfunden, als Usis Vater ihn verwundert und ungläubig anschaute und fragte: »Du kennst das wirklich nicht? In deinem Alter?«, nachdem Michael zögernd gefragt hatte, was da im Hintergrund gespielt wurde.
Bis heute konnte er Schwanensee von Tschaikowsky nicht hören, ohne diese Verlegenheit zu empfinden.
Die Gespräche wurden stets von der Mutter geführt. Sie zog den Vater mit hinein, der schließlich, wenn man ihn darum bat, aus seiner Kindheit in Europa erzählte und von seinen Reisen in die weite Welt. Diese Erinnerungen, die Erinnerungen beider Eltern, waren geprägt von einer humorvoll und leichtherzig dargestellten Armut, und Michael, der damals so alt war wie Juval heute, kehrte nach diesen Besuchen mit den widersprüchlichsten Gefühlen ins Internat zurück, erregt von der persönlichen Begegnung mit einer anderen Welt, die so anders war als die eigene, in der er aufgewachsen war, und mit jenen beiden Menschen, dem großen Künstler, der sich als naiver, fast kindlicher Mensch ohne die geringste Arroganz entpuppte, schüchtern und zugleich außerordentlich freundlich, und mit der Mutter, deren deutliche sexuelle Ausstrahlung Michael zugleich verwirrte und anzog.
Heute war das alles verblaßt. Die Gefühlsstürme von damals hatten sich in versöhnliche und anrührende Erinnerungen verwandelt.
Aber damals! Welch brennenden Neid hatte Usis Zuhause bei ihm erweckt, und wie wenig hatte er damals Usis wilde, unerschöpfliche Zornausbrüche gegen seine Eltern verstanden, ebensowenig wie die Tatsache, daß er aus einem solchen Elternhaus kommen und trotzdem so losgelöst von ihm sein konnte.
Wie sehr hatte ihn das gespannte Verhältnis Usis zu seiner Mutter erstaunt, ein Verhältnis, dessen Wurzeln Michael einfach nicht erkannte. Bei den wenigen Malen, wenn seine eigene Mutter zu einer Elternversammlung kam, hatte er sich ihretwegen geschämt. Es war ihm peinlich, daß sie sich sichtbar unbehaglich fühlte, daß sie die Lehrer schweigend anstarrte. Er hatte sich geniert, wenn sie auf direkte Fragen mit einem stammelnden Hebräisch antwortete, hilflos und auf Übersetzung angewiesen, und ihr warmes Lächeln lächelte. Er empfand Scham und Wut wegen dieser Scham, hilflose Wut auf sich selbst, weil er sich schämte, und auf seine Lehrer und Freunde, die Zeugen dieser Scham waren. Damals dachte er, wenn er zur Elternversammlung Usis Mutter mitbringen könnte oder dessen angesehenen Vater, dann wäre sein Leben ganz anders verlaufen.
Es dauerte Jahre, bis er das Spannungsfeld verstehen konnte, in dem sich Usi befand, die schwere Last des berühmten Vaters, den Abscheu, den er gegen seine Mutter empfand, und die gleichzeitige Liebe zu ihr, der er nicht gewachsen war, den Erwartungen, die in ihn gesetzt wurden, und dem Impuls, diese Erwartungen zunichte zu machen, und die Unfähigkeit, sich
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