Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
Michael hinüber, der ihm Feuer gab. Einige Minuten lang rauchten sie schweigend.
Es war erstaunlich ruhig hier. Die lilafarbenen Wände waren nicht von Türen unterbrochen. Es gab Briefkästen, Anzeigetafeln und zwei Bänke. Einen Moment lang hatte Michael das Gefühl, ein Teil von ihm befände sich außerhalb seines Körpers, wie eine Sprechblase in einem Comic. Dieser Teil, eine Art Miniaturausgabe seiner selbst, betrachtete Oberinspektor Ochajon und Professor Klein, wie sie da saßen und rauchten, während auf ihren Gesichtern eine geheime Bruderschaft zu erkennen war, die Bruderschaft von Menschen, denen es noch nicht gelungen war, ihre Angst, die stärker war als alles andere, hinter einer Maske zu verstecken.
Der große, kräftige Körper Arie Kleins rutschte unbehaglich auf der schmalen Holzbank hin und her. Er wandte sein Gesicht Michael zu, der sah die grauen Augen, die Lippen, die sich bewegten, und hörte erst dann die Stimme des Professors für mittelalterliche Lyrik, die damals den großen Hörsaal im Haus Meiser auf dem alten Campus vom Giv'at Ram gefüllt hatte und die nun flüsterte: »Man kann nie voraussehen, was passieren wird.« Und dann, als habe er die stumme Frage des Polizisten verstanden, fügte er hinzu: »Ich hätte vorausgesagt, daß ich Trauer und Schmerz empfinden würde, vielleicht auch Entsetzen, aber mehr als alles habe ich Angst. Wie ein kleiner Junge, als besäße diese Leiche eine eigene Vitalität, eine Kraft, und könnte aufstehen und auf mich losgehen. Ich verstehe das nicht.«
Michael streckte die Beine aus und starrte vor sich hin, aber es entging ihm kein Wort, und er war sicher, daß Klein das wußte. »Es gibt nichts mehr, was ihm ähnlich sieht, Scha'ul, so wie ich ihn als lebendigen Menschen gekannt habe. Er ist noch nicht mal ein anderer Mensch, sondern nur ein anderes Ding. Das ist, glaube ich, auch der Grund, weshalb wir solche Angst haben.« Arie Klein drückte seine Zigarette in dem Stehaschenbecher aus. Michael hörte schweigend zu. »Ich meine damit, daß ich eben den Mann gesehen habe, den ich schon seit so vielen Jahren kenne, und jetzt ist er eine ekelhafte, stinkende Leiche, und kein Anzug und keine Nelke der Welt nützt ihm noch etwas. Dabei hatte er noch nicht mal ein Kind. Und mir gelingt es nicht, Trauer zu empfinden. Nur Angst, keine Trauer. Der Mensch ist auf sich selbst gestellt, und schlimmer als alles ist seine Angst vor dem Tod. Ich meine nicht das Ende des Lebens, ich meine die eigentliche Begegnung mit dem Tod.«
Michael brachte nicht die innere Kraft auf, die günstige Gelegenheit zu nutzen, um das zu erhalten, was im Fachjargon »Information aus erster Hand« genannt wurde. Er wollte den Zauber der Nähe und der Intimität erhalten, den Einklang mit dem großgewachsenen Mann, der in seinen Augen immer schon ausgesehen hatte wie einer der Gründerväter Israels.
»Ich nehme an«, fuhr Klein fort und stand auf, »daß jemand, der bei der Polizei arbeitet und öfter mit solchen Vorfällen konfrontiert ist, bestimmte Methoden hat, sich vor der Angst zu schützen.«
»Sie irren sich«, sagte Michael und erhob sich ebenfalls, »vor allem nicht in den ersten Minuten.« Sie waren gleich groß, und wieder trafen sich ihre Blicke. Michael nickte dem anderen zu, drückte seine Zigarette aus und kehrte in das Zimmer zurück, in dem die Leiche lag.
Und dann ging es sehr schnell. Michael sah, wie sie mit Maßbändern hantierten, er sah, wie sie sich Notizen machten, wie sie fotografierten und jeden Quadratzentimeter sorgfältig untersuchten. Der Polizeichef und seine Leute verließen schnell den Raum, eine Tragbahre wurde gebracht, die Leute von der Spurensicherung packten ihre Sachen zusammen, sammelten verschiedene Gegenstände und Unterlagen aus dem Büro in große Säcke, die Leiche wurde hinausgebracht, und die Polizisten machten sich hintereinander auf den Weg zum Rektor der Universität, der sein Zimmer im Gebäude der Geisteswissenschaften hatte. Sie gingen über enge, gewundene Treppen, die aussahen, als führten sie nirgendwohin, die einen aber trotzdem in ein anderes Stockwerk, in einen anderen Flügel des Gebäudes brachten, und Oberinspektor Ochajon unterdrückte das Lächeln, das, zu seinem eigenen Erstaunen, bei dem Gedanken in ihm aufstieg, daß sich dieser Ort für internationale Spionageaffären eignen würde, eine Assoziation, die ihn selbst verblüffte.
Wieder dachte er an den alten Campus des Giv'at Ram, er sah vor sich, wie sie an
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