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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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verknotete Krawatte herum geschwollen war, wendete seinen Blick aber sofort wieder ab und stolperte zur Tür.
    Von seinem Platz am Fenster beobachtete Oberinspektor Ochajon konzentriert das Gesicht des Pathologen. Er sah die dünnen Fältchen um die Augen und stellte fest, daß der Mann wohl doch nicht mehr so jung war.
    Ruhig fragte er, wie lange der Tote seiner Ansicht nach schon so daliege, und der Pathologe antwortete: »Nun, es muß noch genauer untersucht werden, aber wenn Sie eine grobe Schätzung wollen ...« Michael nickte, und er fuhr fort: »Man kann ungefähr von achtundvierzig Stunden ausgehen, mindestens.« Er deutete auf den Anzug, der an dem aufgequollenen Körper eng und zerknittert aussah.
    Michael fragte, ob er vor seinem Tod geschlagen worden sei. Der Arzt wischte sich mit der Hand, die in einem dünnen Gummihandschuh steckte, die Schweißperlen von der Stirn. »Es sieht so aus. Ich vermute, jemand hat ihn ins Gesicht geschlagen, vielleicht sogar mit der Faust, obwohl ich eher zu der Annahme neige, daß der Täter einen Gegenstand verwendet hat, vielleicht einen Stuhl, das scheint plausibler.« Er schaute Michael an, mit Augen, in denen noch das Entsetzen stand. Michael wollte nach weiteren medizinischen Details fragen, als die Tür aufging.
    Auch auf den Gesichtern der Beamten von der Spurensicherung, die bereits alles gesehen hatten, gefror das energische Lächeln, noch bevor sie einen genauen Blick auf die Leiche geworfen hatten. Michael wußte, daß sein Gesichtsausdruck den grauenvollen Anblick verriet – diesmal schaffte er es nicht, das aufzusetzen, was Zila liebevoll »dein Pokerface« nannte –, er sah es Pnina von der Spurensicherung an. Hinter ihr kam Zwika ins Zimmer, der Fotograf. Offenbar wollte er eine witzige Bemerkung machen, die jedoch auf seinen Lippen erstarb und sich in einen scharfen Pfiff verwandelte, während seine Hand an die Nase flog, um sie zuzuhalten.
    Als sie mit dem Ausmessen und Fotografieren fast fertig waren, befanden sich im Zimmer bereits alle »Funktionen«, wie Eli Bachar sie immer nannte: der Chef der Jerusalemer Kriminalpolizei, der Polizeipressesprecher, der Offizier der Staatsanwaltschaft. Alle waren sie hereingekommen und hatten die Leiche betrachtet. Tapfer ertrugen sie den Geruch, um »im Bild zu sein«, und Arie Levi, der Polizeichef, bemerkte, das habe es noch nie gegeben, einen Mord an der Universität. »Vielleicht waren es Terroristen, was meinen Sie, Ochajon?«
    Michael antwortete mit trockener Kehle: »Vielleicht«, und wartete ungeduldig darauf, daß die Leiche endlich aus dem Zimmer gebracht würde. Er fragte sich, ob dieser faule, süßliche Geruch je ganz aus diesem Raum verschwinden würde, einem Raum mit der schönsten Aussicht, die er sich vorstellen konnte. Er wußte, daß es Tage dauern würde, bis er den Geruch los würde, denn auch er würde ihn lange nicht aus der Nase bekommen. Schließlich hatte er den toten Mann einmal gekannt, hatte sich oft mit einem gewissen Neid an dessen gelassene Haltung während der Vorlesungen erinnert, an seine elegante Erscheinung.
    Die Beamten von der Spurensicherung nahmen Fingerabdrücke, und Michael schaute ihnen zu, während ihre Stimmen wie aus weiter Ferne zu ihm drangen. Er bemerkte den konzentrierten Ausdruck auf dem Gesicht Eli Bachars, hörte das Gemurmel des Pathologen, der schließlich seine Instrumente einpackte und ging, während die Beamten der Spurensicherung noch immer nach Fingerabdrücken suchten. Dann, im Widerspruch zu den ungeschriebenen Gesetzen, die von ihm verlangten, während der Dauer der Spurensicherung am Tatort zu bleiben, verließ Michael den Raum und lehnte sich an die Wand im Flur und wartete, daß es vorbei wäre. Eigentlich hatte er auch gehofft, außerhalb des Zimmers, in dem die Leiche lag, wieder atmen zu können, doch die Luft in dem engen, verwinkelten Flur war stickig. Er ging den Flur entlang und gelangte an eine Stelle, wo drei Flure zusammentrafen. Dort, umgeben von lilafarbenen Wänden, setzte er sich auf eine Holzbank, an deren anderem Ende Arie Klein saß, den Kopf auf die Hände gestützt.
    Arie Klein hob den Kopf und sah den Polizisten an. Seine Augen waren grau, tief und weit auseinanderstehend, in seinem Blick lagen Angst und Trauer. Michael Ochajon zündete sich eine Zigarette an und hielt dem großen Mann die Packung hin. Arie Klein schien mit sich zu kämpfen, schließlich zuckte er mit den Schultern, nahm eine Zigarette heraus und beugte sich zu

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