Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
sie darum gebeten würde, ihm die Früchte ihrer langen und geduldigen Beobachtungen anzubieten. »Seine Beziehung zu Dr. Schaj gilt als besonders eng«, sagte sie zögernd.
»Aber?« fragte er und wartete geduldig.
»Aber ich kann Dr. Schajs Selbstverleugnung nicht ausstehen. Er hat ihn einfach angebetet. Und dann die Geschichte mit seiner Frau.«
»Mit seiner Frau?« fragte der Mann, und Racheli betrachtete seine braunen Arme und das weiße Hemd, und sie hatte das Gefühl, genau zu wissen, wie seine Haut riechen würde, ein sauberer Geruch. Sie merkte, daß sie rot wurde.
»Ruchama, die Frau von Dr. Schaj. Ich kenne sie kaum, ich habe sie nur ein paarmal gesehen und habe manchmal mit ihr telefoniert, aber trotzdem ...« Sie suchte nach den richtigen Worten, und schließlich sagte sie verlegen: »Alle haben darüber geredet, es war klar, daß sie zusammen waren.«
Die Worte paßten nicht zu dem Rhythmus, in dem sie eigentlich sprechen wollte, fließend und klar, über die seltsame Dreiecksbeziehung, über die die ganze Fakultät sprach, die Studenten, alle. Außer natürlich Adina, die nie ein Wort darüber verloren hatte.
»Zusammen?« wiederholte der Mann. »Sie meinen Ruchama Schaj und Professor Tirosch? Sie haben zusammengelebt?«
»Nicht direkt zusammengelebt, es war, als würden sie zu dritt zusammenleben. Nun, alle wußten es, und auch Dr. Schaj hat es meiner Meinung nach gewußt, jedenfalls glauben das auch viele andere. Und es geht schon seit Jahren so. Aber in der letzten Zeit ...« Racheli schaute ihn an und zögerte, ob sie weitersprechen solle. Er nickte, als wolle er sagen: Ich bin ganz Ohr, und sie fuhr fort: »In der letzten Zeit hat sich etwas geändert.« Er schwieg.
»Sie hat ihn gesucht, und er war verschwunden, oder er hat uns gebeten zu sagen, er wäre nicht da. Auch anderen Leuten gegenüber. Das heißt, er hat nicht wörtlich gesagt, wir sollten es zu ihr sagen, aber ich habe gespürt, daß etwas zwischen ihnen nicht in Ordnung war, als würde er ihr ausweichen.«
Racheli merkte, daß sie nicht mehr aufhören konnte zu reden. Monatelang hatte sie die Leute beobachtet, über die schon seit Beginn ihres Studiums geredet wurde, und während der ganzen Zeit hatte sie kaum jemandem ihre Beobachtungen mitgeteilt, sie hatte sie für sich behalten, und nun spürte sie ein ungeheures Bedürfnis, ihm alles zu erzählen. Für einen Moment, eine Sekunde, sah sie sich selbst zu und traute ihren Ohren nicht. Sie fragte sich, ob dieser Drang zu sprechen ihrem Wunsch entsprang, diesem Mann näherzukommen, dem Mann, von dem sie wünschte, er möge sie berühren, möge sie anlächeln, ein Lächeln, das sie dazu brachte, weiterzusprechen, immer weiter, oder nur dem Gefühl, daß es da ein aufmerksames Ohr gab, einen Menschen, der sich für ihre Beobachtungen interessierte und ihre Fähigkeit, Details wahrzunehmen, zu schätzen wußte.
»Und warum glauben Sie, daß Dr. Schaj es wußte?«
»Alle glauben, daß er es wußte. Und außerdem war er Tirosch gegenüber so ergeben. Tuwja Schaj ist weder dumm noch blind, alle haben es gesehen, und er war ein paarmal im Zimmer, als seine Frau angerufen hat und mit Tirosch sprechen wollte. Die beiden haben überhaupt nicht versucht, die Sache zu verbergen. Es war irgendwie erschrekkend, ich habe nicht verstanden, warum er, Dr. Schaj, mit ihr zusammenblieb, warum er sich nicht hat scheiden lassen.«
Das Telefon klingelte, der Mann nahm den Hörer ab und sagte: »Ja?« Sein Gesichtsausdruck änderte sich. Die Weichheit, die vorher dagewesen war, verschwand, er hörte angespannt zu und schrieb einige Worte auf das Blatt Papier, das vor ihm lag. Doch die ganze Zeit ließ er den Blick nicht von ihr. Etwas mutiger geworden, schaute sie ihn an. »Zwischen zwei und sechs?« sagte er mit einer anderen Stimme, die schärfer und härter klang. »Gut, ich rufe später noch einmal an.« Er legte den Hörer auf und steckte sich noch eine Zigarette an.
Dann fragte er nach Ido Duda'i, und Racheli sagte: »Er war ein sehr netter, angenehmer Mann. Sogar Adina hatte ihn gern. Aber er hatte alles ein bißchen ernst genommen, in beruflicher Hinsicht, ich meine, er hat nie irgendwas aus dem Ärmel geschüttelt, jedenfalls haben ihn alle geschätzt und gern gehabt.«
»Und Tirosch?«
»Was? Mit Ido? Ich glaube, er hat ihn auch geschätzt, er hat sich ihm gegenüber freundlich verhalten, aber auch ein bißchen spöttisch. Das heißt, nicht wirklich spöttisch, er hat nur manchmal
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