Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
einen kleinen Witz über seine Ernsthaftigkeit gemacht, darüber, daß er alles zweimal kontrolliert hat. Aber das war nicht böse gemeint gewesen.«
»Hat Tirosch getaucht?« .
»Was meinen Sie? Im Meer?« Racheli spürte, daß der Mann etwas wußte, was sie nicht wußte, daß er das Gespräch in eine andere Richtung lenkte. »Nein, wieso? Er hat immer über Sport gelacht und gesagt, das Leben sei zu kurz, um auch noch zu leiden. ›Nur Skifahren‹, hat er einmal gesagt, ›aber nur in der Schweiz, in den Alpen, nicht auf dem Hermon.‹ Aber ich kann ihn mir nicht auf Skiern vorstellen. Wenn Sie seine Anzüge gesehen hätten, er war kein Typ für Sport, obwohl er immer braungebrannt war. Er hat gesagt, er liebe das Meer, aber ich glaube nicht, daß er getaucht hat. Tauchen war ein Spleen von Ido.« Sie wagte nicht zu fragen, warum er das wissen wollte. Sie hatte das Gefühl, als ginge es um etwas anderes, was nicht zu dieser Sache gehörte.
»Und ist Ihnen außer der Veränderung mit Frau Schaj noch irgend etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
Racheli zögerte, bevor sie antwortete. Sie erinnerte sich an die Blässe und den müden Ausdruck auf Tiroschs Gesicht nach der Sitzung am Freitag, daran, daß sie zum ersten Mal Zeichen seines Alters an ihm entdeckt hatte: tiefe Falten in den Wangen, ein Gang, der nicht so leicht war wie früher.
»Sagen Sie alles«, sagte der Mann, »alles, was Ihnen einfällt, ohne groß zu überlegen.«
Racheli berichtete von den Veränderungen und schloß: »Am Mittwoch abend war ein Fakultätsseminar, und danach benahmen sich alle, als sei eine Katastrophe passiert, aber ich habe nicht herausbekommen, was wirklich los war. Ich war nicht dabeigewesen, aber ich habe von Zipi gehört – das ist eine Assistentin –, daß Ido Professor Tirosch angegriffen hat und es einen Skandal gegeben habe. Aber es gibt immer Skandale wegen solcher Sachen, das ist alles Politik. Sie tun so, als ob sie mit einem einzigen Wort das Gesicht der Literatur Israels verändern können, und manchmal glauben sie sogar, daß sie Einfluß auf die ganze Welt haben.« Sie staunte selbst über ihre Bitterkeit und Aggression.
»Und Ido? Hatte Ido sich verändert?«
»Seit er aus Amerika zurück war – er war einen Monat dort, er hatte ein Stipendium –, war er nicht mehr derselbe Mensch«, sagte Racheli und dachte, daß sie eigentlich das zitierte, was sie Tuwja im Büro hatte sagen hören.
»Wie würden Sie die Veränderung beschreiben?« fragte der Mann, und wieder beugte er sich vor und schaute sie so aufmerksam an, als sei ihm ihre Antwort wichtig.
»Ich weiß nicht genau, als wäre er mit irgend etwas unzufrieden, als wäre er wütend, und er ist einem Zusammentreffen mit Tirosch ausgewichen. Aber das hängt vielleicht mit dem zusammen, was er bei seiner Rückkehr gehört hat.«
»Was hat er gehört?«
»Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber einige Leute haben darüber geredet, und ich habe sie im Maiersdorf gesehen, im Restaurant des Gästehauses, mittags, Idos Frau Ruth und Tirosch. Ich weiß nicht, vielleicht saß Professor Tirosch mit allen Frauen so da, aber ich hatte das Gefühl, als handle es sich um mehr als ein freundschaftliches Beisammensein. Er hatte so einen gequälten Gesichtsausdruck, wie damals neben dem Fenster, und dann habe ich von Dr. Aharonowitsch gehört ...« Racheli hielt inne, um Luft zu holen und damit er merke, daß Aharonowitsch ihr nicht sympathisch war – sie wußte, daß er es spürte, so wie er alles spürte –, »er hat es nicht zu mir gesagt, sondern zu jemand anderem, in der Schlange vor der Kasse im Maiersdorf, und ich habe es gehört, ohne daß sie mich bemerkt haben, er hat gesagt: ›Daß unsere Augen es erkennen, unser großer Dichter stürzt wieder eine Frau ins Unglück. Törinnen, alles Törinnen.‹ «
»Hat Ido es gewußt?«
Racheli nickte. Dann sagte sie: »Und Ido ist nicht so ein Typ wie Dr. Schaj, der das einfach akzeptiert hat.«
»Warum glauben Sie eigentlich«, Rachelis Herz machte einen Sprung, weil er das »Sie« betonte, »daß Dr. Schaj es akzeptiert hat?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. Zögernd sprach sie weiter, und ihre Worte wurden zu vollständigen, zusammenhängenden Sätzen. »Ich habe oft darüber nachgedacht, denn ausgerechnet Dr. Schaj ist ein gradliniger, anständiger Mensch, man kann sogar Sympathie für ihn empfinden. Ich glaube, daß er Professor Tirosch so sehr verehrt hat, daß er sich noch nicht mal gegen so etwas wehren
Weitere Kostenlose Bücher